Zusammenfassung
Alfred Tutein, der homosexuelle Lebensgefährte des Komponisten Gustav Anias Horn in Hans Henny Jahnns Roman Fluß ohne Ufer, stirbt an einer profanen Krankheit: „Vom Regen durchnäßt und in den Tümpel gefallen.”1 Eine Erkältung also, die wahrscheinlich und von den Freunden unbemerkt eine tödliche Lungenentzündung auslöst. Es ist einer der seltenen Fälle in der Literatur, die Homosexualität thematisiert, daß ein schwuler Protagonist auf so profane Weise zu Tode kommt. Dabei spielen Krankheit und Tod in der ganzen Geschichte dieser Literatur eine bedeutende Rolle. Aber es sind eben in der Regel keine gewöhnlichen Krankheiten, die die schwulen literarischen Figuren befallen, sondern solche, die in mehr oder weniger deutlichem Zusammenhang mit ihrer Homosexualität stehen. Schon Enkidu, der Gefährte des mythischen Helden Gilgamesch, stirbt an einer unerklärbaren Krankheit, die ihm die rachsüchtige Göttin Ischtar aus Eifersucht anhext. Der Fiebertod von Christian, dem Jugendgeliebten Rolands in Guido Bachmanns Roman Gilgamesch wird — mitten in der bürgerlich-trivialen Gegenwartswelt Berns — ausgelöst durch einen mystischen Faustschlag des dämonischen Ruben. Und auch Alfred Tuteins Krankheit ist nicht so profan wie sie erscheint: Die beiden Freunde haben, um symbiotische Wünsche des Ineinander-Aufgehens zu realisieren, einen Blutaustausch vornehmen lassen, aus dem Tutein körperlich geschwächt hervorgeht.
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Anmerkungen
Thomas Mann: Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde, Stockholm 1947; Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Frankfurt a.M. 1960, Band VI.
Vgl. Klaus Müller: Sprachregelungen. Die Codierung des ‚Homosexuellen’ in der Sexualpathologie des 19. Jahrhunderts. In: Forum Homosexualität und Literatur 4/1988, S. 75–92
ders.: Aber in meinem Herzen sprach eine Stimme so laut. Homosexuelle Autobiographien und medizinische Pathogra- phien im neunzehnten Jahrhundert. Mit einem Vorwort von Rüdiger Lautmann. Berlin 1991 (Homosexualität und Literatur Bd. 4).
Susan Sontag: AIDS and Its Metaphors. New York 1988; deutsch: AIDS und seine Metaphern. Aus dem Amerikanischen von Holger Fliessbach. München und Wien 1988.
Bert Büllmann: Die amerikanische Gay Lit im Schatten von AIDS. Wie kann Literatur auf AIDS reagieren? In: Forum Homosexualität und Literatur 10/1990, S. 37–62.
Christopher Davis: Valley of the Shadow. New York 1988
Joel Redon: Bloodstream, Stamford, Conn. 1988
David B. Feinberg: Eighty-Sixed, New York 1989
Wim Hottentot: So much like the past. AIDS als literair thema. In: Optima 29/1991, S. 21 – 40.
Hottentot bezieht sich hauptsächlich auf folgende Texte: William Hoffmann: As Is (Theaterstück), in: M. Elizabeth Osborn, Hg.: The Way We Live Now. American Plays & The AIDS Crisis, New York 1990
Alan Hollinghurst: De Zwembadbibliothek, Amsterdam 1989
Larry Kramer: The Normal Heart (Theaterstück), in: The Royal Court Writers Series, London 1986
Paul Reed: Facing it. A Novel of AIDS, New York 1984
Dominique Fernandez: La Gloire du Paria, Paris 1987
Frans Kellendonk: Mystiek lichaam, Amsterdam 1986
Marita Keilson-Lauritz: Sammelrezension, in: Homologie 2/1989, S. 59 f.
Besprochen werden folgende Publikationen: Josef Gabriel: Verblühender Mohn. Aids — die letzten Monate einer Beziehung. Frankfurt 1988
Ralf König: Safere Zeiten. Berlin 1988
Helmut Zander: Der Regenbogen. Tagebuch eines Aidskranken. München 1988
Weitere neuere Literatur: Mars-Jones, Adam und Edmund White: Nicht anders als das Feuer. Reinbek bei Hamburg 1988
Napoleon Seyfarth: Schweine müssen nackt sein. Ein Leben mit dem Tod. St.Gallen/Berlin/Sao Paulo 1991
Friedrich Kröhnke: Die Weise von Liebe und Tod. In: Friedrich Kröhnke: KnabenKönig mit halber Stelle. Berlin 1988.
Detlev Meyer: Ein letzter Dank den Leichtathleten. Biographie der Bestürzung. 3. Band. Erzählung. Düsseldorf 1989.
Marita Keilson-Lauritz: Muß das Private öffentlich werden? Erkenntniswunsch und Diskretion als Dilemma der literarischen Homostudien. In: Erkenntniswunsch und Diskretion. Erotik in biographischer und autobiographischer Literatur. Hg. von Gerhard Härle, Maria Kalveram und Wolfgang Popp. Berlin 1992.
Paul Monette: Love alone. Eighteen Elegies for Rog. New York 1988.
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Popp, W. (1992). Homosexualität und Krankheit. In: Männerliebe. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03403-8_14
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