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Die Präformation der Moderne in Abaelards Nominalismus

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Das Allgemeine und das Besondere
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Zusammenfassung

In der Philosophie Abaelards geht das mittelalterliche Denken ausdrücklich zu einer neuen Orientierung über, aus der später die Stellung das modernen Bewußtseins zur Objektivität hervorging. Wiewohl dies Ausdruck einer gegenüber dem Mittelalter vielfältig gewandelten Zivilisation ist, ergab sich die Neuheit der Abaelardschen Lehre nicht aus einer theoretischen Zuwendung zu gänzlich neuen Gegenständen, sondern vielmehr aus einer veränderten Reflexionsweise, in der sich die via moderna ankündigt, welche dann seit dem 14. Jahrhundert alle Bereiche der Zivilisation erfaßte. Abaelard hat die erste ausgeführte nominalistische Theorie geliefert, in der die Konsequenzen aus der Lehre Roscelins gezogen sind. Jedoch setzte Abaelard die Tradition zugleich affirmativ fort, denn er hatte niemals die ihm schon zu Lebzeiten unterstellte Absicht, die überkommene politische Ordnung umzustürzen. Er wollte weder den christlichen Glauben negieren, noch auch nur häretische Lehren vertreten. Ohne die Dogmatik in zentralen Punkten zu verletzen, betrachtet er vielmehr die überkommenen Themen der Theologie mit den Mitteln einer neuen, wesentlich kritischen Philosophie.1

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Notizen

  1. Dies hat freilich ausgereicht, um Abaelard häretische Lehren vorzuwerfen. Die Synoden von Soissons (1121) und Sens (1141) verurteilten Abaelard wegen angeblicher Abweichungen vom Trinitätsdogma. Be-strebt, den Roscelinschen Tritheismus zu bekämpfen, hat Abaelard den Anschein erweckt, als setzte er die trinitarischen Personen zu Attributen der Macht, Weisheit und Güte herab, so daß er den Vorwurf des Arianismus und Sabellianismus auf sich zog. Obwohl dies in der Linie seiner Philosophie läge, sind die Vorwürfe aus den überlieferten Texten nicht zu begründen. Cf. hierzu: P. Ruf und M. Grabmann, Ein neuaufgefundenes Bruchstück der Apologia Abaelards, München 1930, S. 50ff. (Sitzungsbericht d. Bayer. Akad. d. Wiss, Phil. hist. Abt., Jg. 1950, Heft 5). Die neuere Literatur über Abaelard bemüht sich, das traditionelle Moment seines Denkens herauszustellen. Abaelard ist hiernach kein »Rationalist« gewesen, und seine Modernität ist eine Fehlinterpretation. Sosehr darin das berechtigte Motiv liegt, unhistorische Projektionen früherer Epochen zu korrigieren, wie sie etwa Victor Cousin unterlaufen sind, so wenig läßt sich doch verkennen, daß das Denken Abaelards über den Rahmen des zu seiner Zeit Gegebenen an vielen Stellen objektiv hinausgeht, auch wenn seine Intention — die sich zuweilen gar nicht mehr zweifelsfrei ermitteln läßt — eine andere war.

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  2. Cf. hierzu: M. de Gandillac, Oeuvres choisies d’Abélard, Paris 1945, S. 2 ff., sowie

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  3. J. G. Sikes, Peter Abailard, Cambridge 1952, bes. S. 248 ff.

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  4. Die Entsprechung des Rechtsdenkens Gratians und der kritischen Reflexionsweise Abaelards ist rein geistesgeschichtlich freilich nicht zu bestimmen. Es ist keine wechselseitige Einflußnahme festzustellen. Wie wenig die Methoden von Geistesgeschichte und Philologie an die hier zu untersuchenden Phänomene heranreichen, zeigt in diesem Sinne indirekt D. E. Luscombe, The School of Peter Abelard, Cambridge 1969, S. 224, ff.

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  5. Cf. außerdem M. Grabmann., Die Geschichte der scholastischen Methode, Bd. 2, Freiburg 1911, S. 213 ff.

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  6. Einen Überblick über die historische Seite dieses Prozesses gibt W. Kluxen, »Der Begriff der Wissenschaft«, in: Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert, hrsg. v. P. Weimar, Zürich 1981, S. 275 ff. In vielen Darstellungen der Geistesgeschichte des 12. Jahrhunderts wird mit Recht die Rolle der arabischen Wissenschaft betont. Indessen ist die Perspektive, aus der etwa Dominicus Gundissalinus die Konzeption der Wissenschaft des Al-Farabi rezipieren konnte, aus der Entwicklung des christ-lichen Neuplatonismus entstanden. Dessen Aporien nötigten dazu, die Realität des Einzelnen anzuerkennen. Eine metaphysische Kosmologie kann danach nicht mehr auf konkrete Ursachenforschung verzichten. So wurde die Aristotelische Bestimmung des Ursachenbegriffs für die Theorien des 12. und vor allem des 13. Jahrhunderts relevant.

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  7. Abaelard, Logica »Ingredientibus«, Philosophische Schriften, ed. B. Geyer, Münster 1919 ff, S. 112.

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  8. Hierin kommt die epochale Trennung der Logik von der Ontologie zum Ausdruck. Aber dies ist hier noch nicht die Begründung einer neuen Fachwissenschaft, sondern selbst Metaphysik, deren Aporien Abaelard lösen wollte, ohne sie zu verwerfen. Neuere Interpretationen Abaelards, die seinen Nominalismus als Etappe auf dem Wege zum logischen Positivismus sehen möchten, verkennen gewöhnlich das Telos seines Denkens. So gelangen sie dazu, als Mangel zu beklagen, was gerade das Interesse der Abaelardschen Argumentation ausmacht. J. Pinborg kritisiert die »Unklarheit angesichts der eigentlichen Aufgabe der Logik,« welche daher rühre, daß »die Lehre von den Termini von der Universalienproblematik überschattet« sei. Der historische Sinn der Philosophie Abaelards wird so verfehlt. Cf. J. Pinborg, Logik und Semantik im Mittelalter, Stuttgart 1972, S. 51.

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  9. L. c. — Jolivet hat anhand dieser Texte den Nominalismus Abaelards auf eine zutreffende Formel gebracht: »Le problème des universaux n’est pas celui des idées, c’est celui des prédicats; or un prédicat n’est pas une chose: voilà en définitive ce qu’exprime le nominalisme d’Abélard.« (Jolivet, 1. c, S. 94) Der Nominalismus Abaelards ist selbst vornehmlich Kritik, nicht aber schon eine affirmative Doktrin, die eine neue Ursprungssphäre gefunden hat. Cf. hierzu auch den knappen Beitrag Jolivets: »Non-réalisme et platonisme chez Abélard«, in: Abélard en son temps, Paris 1979, S. 175 ff.

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  10. Cf. hierzu P. Bulthaup, Zur gesellschaftlichen Funktion der Naturwissenschaften, Frankfurt/M. 1973, S. 64 ff. Die Intention Abaelards ist der Magie genau entgegengesetzt: »Non enim ignotum per ignota possumus declarare.« (Dialectica, 1. c., S. 597)

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  11. L. c, — Die im gesamten Mittelalter nie bündig gelöste Frage, ob die aus der Antike bekannten vier Elemente als formae substantiates der Materie zu gelten haben, denen die Gliederung in Gattungen und Arten nachgeordnet wäre, beeinflußt auch hier das Problem der Reinheit des zu erkennenden Naturphänomens; denn die Existenzweise der als irreduzibel angesehenen Elemente ist ein Punkt, an dem sich die Theorien in Wider-prüche verwickeln. Cf. hierzu A. Maier, An der Grenze von Scholastik und Naturwissenschaft, Rom 1952, bes. S. 5–22.

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  12. Zu den mechanischen Künsten gehörten das lanificium, die Herstellung von Kleidern, die armatura, die Werkzeugherstellung, die navigatio, die Agrikultur, die Jagd, die Medizin und die Theaterkunst (cf. Didascali-con II, 20,1. c, col. 760 A-B). Die eingehendste Studie zu diesen Problemen ist: R. Baron, Science et sagesse chez Hugues de St. Victor, Paris 1957.

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  13. Cf. M. Villier u. M. Olphe-Gaillard, Art. »Ascétisme, Ascèse«, in: Dictionnaire de Spiritualité. Bd. I, Paris 1932, col. 966.

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Mensching, G. (1992). Die Präformation der Moderne in Abaelards Nominalismus. In: Das Allgemeine und das Besondere. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03401-4_7

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03401-4_7

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-00827-5

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