Zusammenfassung
Die Philosophen hatten schon immer eine hohe Meinung von ihrer Bedeutung für die menschliche Gesellschaft, ja für die Welt. Doch vor einem halben Jahrhundert schrieb Hermann Glockner einen Satz, der alles, was bisher Unsinniges über die Philosophen geschrieben worden war, in den Schatten stellt. Der Satz lautet: »Gott selbst stellte seine Welt in Frage; er wagte sich, indem er den Philosophen schuf«.[1] Dieser Selbsteinschätzung des modernen Philosophen entspricht natürlich nicht seine uns allen vertraute Erscheinung. Wenn man es nicht wüßte, daß einer ein Philosoph ist, man würde es nicht erraten. Der deutsche Durchschnittsphilosoph einer durchschnittlichen deutschen Universität ist ein Mann mittleren Alters in einem Konfektionsanzug. Gewöhnlich trägt er eine Aktentasche und wahrscheinlich hat er eine Lebensversicherung wie andere Angestellte auch. Man wird nicht überrascht sein, wenn er gleich den Zettel aus der Tasche ziehen wird, auf dem ihm seine Frau aufgeschrieben hat, was er ihr vom Markt mitbringen soll. Angesichts dieser Diskrepanz von philosophischem Anspruch und bürgerlicher Wirklichkeit siedelt jede Darstellung des Selbstverständnisses moderner Philosophen in der Nähe zur Satire, und ursprünglich gedachte ich mir auch auf diese Weise eine Erleichterung zu verschaffen. Aber die nähere Beschäftigung mit dem Thema sorgte dann doch für eine gewisse Ernüchterung und Ernsthaftigkeit.
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Anmerkungen
H. Glockner: Die Persönlichkeit des Philosophen. In: Zeitschrift für Deutsche Kulturphilosophie. Neue Folge des Logos. Bd. 3 (1937), S. 242.
H. Glockner: Vom Wesen der deutschen Philosophie. Stuttgart/Berlin 1941. Diese Schrift ist zur passenden Zeit erschienen: »Heute aber ist Krieg. Und es ist gut, daß Krieg ist« (S. 53).
H. Glockner: Die ethisch-politische Persönlichkeit des Philosophen. Eine prinzipielle Untersuchung zur Umgestaltung der Hegelschen Geisteswelt. Tübingen 1922, S. 44.
H. Glockner: Das Abenteuer des Geistes. Stuttgart 1938, S. 111.
M. Heidegger: Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt — Endlichkeit — Einsamkeit. Gesamtausgabe Bd. 29/30. Frankfurt/M. 1983, S. 244.
M. Heidegger: Einführung in die Metaphysik. Tübingen 1966, S. 4.
M. Heidegger: Die Selbstbehauptung der deutschen Universität. Das Rektorat 1933/34. Frankfurt/M. 1983, S. 13.
A. Baeumler: Politik und Erziehung. Reden und Aufsätze. Berlin 1937, S. 128.
M. Heidegger: Beiträge zur Philosophie. (Vom Ereignis). Gesamtausgabe Bd. 65. Frankfurt/M. 1989, S. 11. 13 R. Wisser: Nachdenkliche Dankbarkeit. In: Antwort. Martin Heidegger im Gespräch. Hg.: G. Neske, E. Kettering. Pfullingen 1988, S. 52.
S. Vietta: Heideggers Kritik am Nationalsozialismus und an der Technik. Tübingen 1989, S. 9, Anm. 20.
H. Jonas: Das Problem der Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/M. 1979, S. 8.
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Wokart, N. (1991). Philosophische Mentalität im 20. Jahrhundert. In: Ent-Täuschungen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03369-7_7
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