Oknos Kein Bedürfnis nach Erlösung

Zusammenfassung

Wir haben ein Bedürfnis nach Erlösung, und wir haben es so selbstverständlich, daß es für uns schon widersinnig ist, anzunehmen, jemand habe dieses Bedürfnis nicht und könnte damit dennoch leben, womöglich ohne einen Mangel zu empfinden und vielleicht sogar glücklich. Selbst die Philosophie als die kritische Instanz macht dieses Bedürfnis weniger zum Gegenstand ihres skeptischen Interesses als zum Objekt der Begründung, meist in säkularisierter Form wie bei Schopenhauer, manchmal in offen religiöser wie bei Schelling, der in seiner »Philosophie der Offenbarung« versichert, der Gedanke an Erlösung mache ihm überhaupt »keine Schwierigkeit«. Dieses Bedürfnis nach Erlösung nährt sich daraus, daß das Leben, wie es einmal ist, im ganzen und in einzelnen Zügen, nicht befriedigen kann. Zuviel ist, was nicht sein sollte: Schuld und Schmerz, Verlust, Enttäuschung und Versagen, Vergessen und Vergeblichkeit. Das Leben ist mit Schatten so durchwoben, daß Petronius, der alte Spötter, schon die Wahrheit trifft, wenn er, ironisch zwar, doch durchaus ernst, erklärt, mache man genau Bilanz, sei überall nur Schiffbruch zu vermelden. Die kleinen Glücke, die man unterwegs so sammeln kann, sie reichen nicht zum Trost und schon gar nicht für größere Aufschwünge.