Zusammenfassung
Die beiden für diesen Abschnitt gewählten Titelwörter, das eine provenzalisch, das andere französisch, beide mit gleicher Bedeutung (›Dichter‹), sollen von vornherein darauf aufmerksam machen, daß die französische Lyrik des 12. und 13. Jh.s nicht ohne einen Blick auf die provenzalische höfische Lyrik verstanden werden kann. Die Trobadorlyrik war bereits über zwei Generationen alt, als sie, ungefähr von 1170 an, im französischen Sprachgebiet imitiert wurde; und wenn diese Imitation auch das gesamte lyrische System in Form (Gattungen) und Inhalt (Liebeskonzeption) umfaßte, so zeigt doch schon einfach die Tatsache, daß die Trouvères französisch und nicht — wie die südromanischen Bewunderer der Trobadors — provenzalisch dichten, daß die Übernahme Züge der Eigenständigkeit trägt und sie um so eher tragen konnte, als ein bestimmter Bestand an lyrischen Formen bereits der französischen Tradition angehörte. Zur Unterscheidung von höfischen lyrischen Gattungen nennt man sie die vorhöfischen oder traditionellen Formen und versteht darunter Refrainlieder verschiedenen Inhalts (Tanzlieder, Romanzen, Spottlieder). Ein solches Refrainlied, dessen Typus (Rotrouenge) noch im 12. Jh. von Westfrankreich bis in den Hennegau (Gontier de Soignies) nachgewiesen ist, liegt uns in dem ältesten datierbaren französischen Lied vor, das von provenzalischen Einflüssen noch ganz frei ist. Es ist ein Aufruf zum zweiten Kreuzzug (1146); formal besteht es aus sieben Achtzeilern einfachen Baues mit folgendem Vierzeiler als Refrain:
Ki ore irat od Loovis
Ja mar d’enfern avrat pouur,
Char s’aime en iert en pareis
Od les angles nostre Segnor.
Wer jetzt mit Ludwig zieht,
wird nie vor der Hölle Angst haben,
denn seine Seele kommt ins Paradies
zu den Engeln unseres Herrn.
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Grimm, J. et al. (1991). Das Hohe Mittelalter. In: Grimm, J., et al. Französische Literatur-Geschichte. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03366-6_2
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