Zusammenfassung
Öffentlichkeit entsteht dadurch, daß eine Gesellschaft ein Bewußtsein ihrer selbst entwikkelt. Literatur, in all ihren Formen, so lange es sie gibt, war immer ein Medium, das zu dieser Bewußtseinsbildung genutzt werden konnte. Dies gilt auch für die Fälle, in denen ihre Produzenten mit ihrem ›opus‹ nichts anderes im Sinn hatten als »Kunst«. Auch der Gebrauchswert der sogenannten »reinen« Dichtung unterliegt dem geschichtlichen Wandel und zeigt durch die Epochen die verschiedensten Facetten. Spitzenerzeugnisse der Literatur mögen zwar ästhetische Normen prägen, die im günstigen Fall einige Epochen überdauern, aber dies rechtfertigt nicht, in Bezug auf sie von der Ewigkeit ihrer Geltung zu reden. Dergleichen ist, bestenfalls, Schwärmerei, jedenfalls aber Ideologie. Sofern das Publikum nämlich ihr Gedächtnis bewahrt, geschieht dies jederzeit aus einem speziellen Interesse. Was nicht mehr in diesem Sinne auf Resonanz stößt, sinkt in den Orkus des Vergessens. Somit ist die Geschichte ein Faktor, der aus dem Leben der Literatur niemals wegzudenken ist — sofern dieser Ausdruck erlaubt ist, denn zumeist handelt es sich nur um ein »Nachleben» im Rahmen einer Wissenschaft, die, wiederum aus speziellem Interesse, sich diese Reliktpflege angelegen sein läßt.
»Der ärgste Frevel solcher Literarhistoriker aber ist es, wenn sie, sei es in einem dumpfen Gefühle ihrer verhängnisvollen Einseitigkeit, sei es aus anderen, aber wahrhaftig nicht achtbareren Gründen, die Gegenstände ihrer Darstellung in ein politisch-soziales Licht rücken wollen und sie deshalb mit den politischen und sozialen Vorurteilen aufschminken, die ihnen selbst geläufig sind und die ›hohen Gönnern‹ angenehm in den Ohren klingen. Dann entsteht ein wahrer Greuel der Verwüstung.«
Franz Mehring [1]
Vom Herausgeber bearbeitet. Die ungekürzte Fassung erscheint separat.
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Kemper, R. (1989). Zur öffentlichen Bedeutung der Literarhistorie. In: Förster, J., Neuland, E., Rupp, G. (eds) Wozu Noch Germanistik?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03271-3_11
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03271-3_11
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00653-0
Online ISBN: 978-3-476-03271-3
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