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Die Scheidung der Humanitätsidee von der ästhetischen Theorie in der Kantschen Transzendentalphilosophie

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Die Entstehung der ästhetischen Humanitätsidee in Deutschland
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Zusammenfassung

Die Überzeugung, der Mensch sei von Natur her disponiert, vermittels artistisch reflektierter sinnlicher Erlebnisse Einsichten zu gewinnen, denen für die moralische Dignität seiner ontogenetischen wie phylogenetischen Bildungen substantielle Bedeutung zuzumessen ist, war fast ein halbes Jahrhundert lang Gemeingut der deutschen Aufklärer. Kant hatte, bevor er zu seinen transzendentalphilosophischen Grundgedanken fand, in dieser Hinsicht keine Ausnahme gemacht. In seiner im Jahre 1764 publizierten Schrift Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen faßt er das Verhältnis spontaner Empfindungen des Wohlwollens zum Humanum noch ganz in der Tradition der ästhetischen Moralphilosophie auf, die um die Jahrhundertmitte in Deutschland zu einer geistigen Macht geworden war. Im Trauerspiel, so erklärt er dort noch,

»zeigen sich großmütige Aufopferung vor fremdes Wohl, kühne Entschlossenheit in Gefahren und geprüfte Treue. Die Liebe ist daselbst schwermütig, zärtlich und voll Hochachtung; das Unglück anderer beweget in dem Busen des Zuschauers teilnehmende Empfindungen und läßt sein großmütig Herz vor fremde Not klopfen. Er wird sanft gerührt und fühlt die Würde seiner eigenen Natur.«[1]

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Anmerkungen

  1. Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen. (Fortan: BGSE.) In: Immanuel Kant, Werkausgabe. Hg. von Wilhelm Weischedel, Bd. 1–12, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1976–1978 (fortan: WA), Bd. 2, p.830. — Eine Bestimmung des Ortes der Beobachtungen innerhalb des vorkritischen Werkes von Kant gibt M. Campo, La Genesi del Criticismo Kantiano. Parti I. II. (Pensiero e storia I. IL), Varese 1953, p. 396 ff.

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  2. Argumentationsgang stets im einzelnen nachweisen zu können) die folgenden neueren Untersuchungen zu Rate gezogen: W. Bartuschat, Zum systematischen Ort von Kants Kritik der Urteilskraft, Frankfurt am Main 1972;

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  3. G. Kohler, Geschmacksurteil und ästhetische Erfahrung. Beiträge zur Auslegung von Kants Kritik der ästhetischen Urteilskraft, Berlin-New York 1980;

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  4. G. Lehmann, Kants Nachlaßwerk und die Kritik der Urteilskraft. In: Ders., Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, Berlin 1969;

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  5. H. Nitschak, Kritik der ästhetischen Wirklichkeitskonstitution. Eine Untersuchung zu den ästhetischen Schriften Kants und Schillers, Frankfurt am Main 1976;

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  6. J. Saatröwe, Genie und Reflexion. Zu Kants Theorie des Ästhetischen, Karlsruhe 1971;

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  7. E. Schaper, Studies in Kant’s Aesthetics, Edinburgh 1979;

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  8. A. Trebels, Einbildungskraft und Spiel. Untersuchungen zur Kantischen Ästhetik (Kantstudien. Ergänzungsheft 93), Bonn 1967.

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  9. Cf. Kuno Fischer, Immanuel Kant und seine Lehre. 2. Teil: Das Vernunftsystem auf der Grundlage der Vernunftkritik (ders., Geschichte der neuen Philosophie, Bd. V. 2.), 6. Aufl. Heidelberg 1957, p. 107f.

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  10. Cf. Friedrich Kaulbach, Das Prinzip Handlung in der Philosophie Kants, Berlin-New York 1978, p. 300 ff.

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  11. Cf. Karl Vorländer, Immanuel Kant. Der Mann und das Werk. 2., erw. Aufl. Mit einem Beitrag »Kants opus postumum« von Wolfgang Ritzel. Unter Mitarbeit von Konrad Kopper hg. von Rudolf Malter, Hamburg 1977, p. 100, p. 158 ff.

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  12. Cf. dazu Gerhard Lehmann, Zur Analyse des Gewissens in Kants Vorlesungen über Moralphilosophie. In: Ders., Kants Tugenden. Neue Beiträge zur Geschichte und Interpretation der Philosophie Kants, Berlin-New York 1980, p. 28 f., p. 36, p. 52, p. 57.

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  13. Daß ein solches Unterfangen scheitern muß, ist aus den von W. Heubült [Die Gewissenslehre Kants in ihrer Endform von 1797. Eine Anthroponomie (Conscientia. Studien zur Bewußtseinsphilosophie, Bd. 8), Bonn 1980, p. 58 ff., p. 121 ff., p. 127ff.] unternommenen Versuchen, der in Kants Lehre von den ästhetischen Vorbegriffen schwelenden Widersprüche gegen die Axiome der transzendentalen Ethik im Rahmen einer immanenten kantianischen Lektüre Herr zu werden, einmal mehr zu ersehen.

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  14. J. Habermas, Erkenntnis und Interesse (fortan: Erkenntnis), Frankfurt am Main 1971, p. 245.

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  15. cf. O. Schwemmer, Philosophie der Praxis. Versuch zur Grundlegung einer Lehre vom moralischen Argumentieren in Verbindung mit einer Interpretation der praktischen Philosophie Kants, Frankfurt am Main 1971, p. 184 ff.

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  16. Michael Albrecht, Kants Antinomie der praktischen Vernunft (Studien und Materialien zur Geschichte der Philosophie, Bd. 21), Hildesheim-New York 1978, p. 152], hat in der Auseinandersetzung mit seiner Moralphilosophie eine lange Geschichte. Nach der auf der Basis einer außerordentlich breiten Kenntnis der Forschungen über Kants Transzendentalethik verfaßten Untersuchung Albrechts (cf. p. 155) heißt es bereits in der fast ein Jahrzehnt nach der Kritik der praktischen Vernunft publizierten Schrift Ueber die sittliche Natur und Bestimmung des Menschen. Ein Versuch zur Erläuterung über I. Kant’s Kritik der praktischen Vernunft, Bd. I. II, Leipzig 1796/97 von Christian Friedrich Michaelis (Bd. II, p.53), daß durch die Pflicht, dem höchsten Gut zuzustreben, »nun dennoch Beförderung einer der Tugend angemessenen Glückseligkeit unsre Pflicht« werde. — Zu den oft kontrovers ausgetragenen Diskussionen von Kants Idee des »höchsten Guts« in der Kant-Forschung cf. auch weitere Passagen der Albrechtschen Schrift, vornehmlich p. 43 ff., p. 55 ff., p. 67 f., p. 156 f.

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  17. cf. Dietrich Naumann, Politik und Moral. Studien zur Utopie der deutschen Aufklärung (Frankfurter Beiträge zur Germanistik. Hg. von N. Altenhofer und K. von See, Bd. 15), Heidelberg 1977, p. 319.

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  18. Frieder Lötzsch, Vernunft und Religion im Denken Kants. Lutherisches Erbe bei Immanuel Kant (Böhlau Philosophica 2), Köln-Wien 1976, p. 98], den Teufel aus der Theologie zu beseitigen (p. 95 ff.) und damit die Verantwortung für Gut und Böse ausschließlich den Menschen aufzubürden. Bei dieser konsequenten Verlagerung des Bösen ins Innere der Menschen, zu der die Abschaffung des die ethischen Urteile der Menschen verwirrenden Teufels erfordert ist, handelt es sich um eine genuin neologische Leistung. (Cf. p. 134.) Lötzsch weist zumal Spaldingschen Einfluß (cf. p. 118, p. 132 f., p. 139, p. 147, p. 177 f., p.208ff.) auf Kants Konzept nach, durch eine Zerstörung der orthodoxen These von der Transmissibilität des Bösen (cf. p. 153) die Menschen zu einer schärferen moralischen Kontrolle ihrer Handlungen anzuhalten.

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  19. Cf. Th. W. Adorno, Zur Metakritik der Erkenntnistheorie. Studien über Husserl und die phänomenologischen Antinomien, Frankfurt am Main 1972, p. 147 f.

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  20. Cf. die Analyse des Verhältnisses von gattungsgeschichtlichem Traum, allgemeinmenschlicher Hoffnung und kritizistisch interpretierter Rechtsgeschichte in der Kantschen Geschichtsphilosophie bei A. Philonenko, Théorie et praxis dans la pensée morale et politique de Kant et de Fichte en 1793 (Bibliothèque d’Histoire de la Philosophie) (fortan: Théorie et praxis), Paris 1976, p. 69 ff.

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  21. Klaus Weyand: Kants Geschichtsphilosophie. Ihre Entwicklung und ihr Verhältnis zur Aufklärung (Kantstudien. Ergänzungsheft 85), Köln 1964, p. 49 ff.;

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  22. sowie Peter Burg, Kant und die Französische Revolution (Historische Forschungen, Bd. 7), Berlin 1974, p. 126 ff.

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  23. weiterhin auch A. Illuminati, Kant politico, Firenze 1971, p. 141.

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  24. Rudolf zur Lippe, Das bürgerlich-autonome Subjekt in den geschichtsphilosophischen Schriften von Kant. In: Ders., Bürgerliche Subjektivität: Autonomie als Selbstzerstörung, Frankfurt am Main 1975, p. 78.

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  25. Cf. Richard Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant, Stuttgart-Berlin--Köln-Mainz 1973, p. 76. Cf. auch GTP, WA 11, p. 152.

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  26. Cf. Paul Guyer, Kant and the Claims of Taste, Cambridge (Mass.)-London 1979, p. 131 ff.

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  27. aber erst aus dem Ganzen der transzendentalen Grundansicht wächst ihm die eigentümliche und neue Bedeutung zu, die er jetzt empfängt.« [Ernst Cassirer, Kants Leben und Lehre (Immanuel Kants Werke. In Gemeinschaft mit Hermann Cohen u.a. hg. von Ernst Cassirer, Bd. 11), Berlin 1921, p. 303f.]

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  28. Cf. Giuseppe Giannetto, Kant e l’interpretazione, Napoli 1978, p. 212ff.

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  29. Hans Freier, Die Rückkehr der Götter. Von der ästhetischen Überschreitung der Wissensgrenze zur Mythologie der Moderne. Eine Untersuchung zur systematischen Rolle der Kunst in der Philosophie Kants und Schellings, Stuttgart 1976, p. 65.

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Gleissner, R. (1988). Die Scheidung der Humanitätsidee von der ästhetischen Theorie in der Kantschen Transzendentalphilosophie. In: Die Entstehung der ästhetischen Humanitätsidee in Deutschland. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03248-5_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03248-5_6

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