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Zusammenfassung

Nicht einmal mehr als Kontrapunkt strenger Orientierung an den handgreiflichen Realitäten des Lebens mag Christian Garve das Schweifen von Phantasien gelten lassen, denen die herkömmlichen täglichen Verrichtungen einerlei wären. Wenn, so erklärt er in seinen Gedanken über das Interessierende [1], einer der scharfsinnigsten und zugleich verkanntesten Untersuchungen der deutschen Aufklärungsästhetik [2], die »Götter-=Zauberer=Feyen und Ritterwelt jetzo noch gefallen soll: so muß es entweder dadurch geschehen, daß unter diesem fremden Namen wirkliche Menschen aufgeführt werden, oder daß sie doch zuweilen wie die uns bekannten Dinge wirken und leiden.« [3] Die Polemik, stolz von der Warte der Erhabenheit des praktischen Mannes über alle Donquichotterie in Kunst und Wirklichkeit gesprochen [4], mündet in eine Folgerung, deren Schlichtheit auf den ersten Blick spanisch anmuten kann, die nämlich, »daß uns nichts mehr interessieren kann als Schilderungen des Menschen, seiner Sitten und seiner Vorfälle.« [5] Der Mensch erscheint hier also zunächst als Gegenspieler der allem Geläufigen entrückten Protagonisten der Romane und Heldenbriefe der Lohenstein, Zigler und Hofmannswaldau, die sich bis weit ins 18. Jahrhundert hinein in breiten Leserschichten beträchtlichen Ansehens erfreuten.[6]

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Anmerkungen

  1. Chr. Garve, Popularphilosophische Schriften über literarische, ästhetische und gesellschaftliche Gegenstände. (Fortan: PS.) Im Faksimiledruck herausgegeben von Kurt Wölfel (Deutsche Nachdrucke, Reihe Texte des 18. Jahrhunderts, hg. von Paul Böckmann und Friedrich Sengle). Bd. I. IL, Stuttgart 1974, Bd. I, p. 161–347.

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  2. Jochen Schulte-Sasse (Hg.), Aufklärung und literarische Öffentlichkeit (Hefte für kritische Literaturwissenschaft 2), Frankfurt am Main 1980, p. 133 ff.

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  3. Daß Garve ein durchaus praktisch denkender Mann war, ist seinen Vorträgen in der Schlesi-schen Oekonomischen Gesellschaft [Über den Charakter der Bauern und ihr Verhältniß gegen die Gutsherrn und gegen die Regierung. Drey Vorlesungen in der Schlesischen Oekonomischen Gesellschaft gehalten von Christian Garve (fortan: Charakter der Bauern) (Breslau 1786), PS II] zu entnehmen. Die dort empfohlenen landwirtschaftlichen Reformen, etwa die Förderung einer gewissen Qualifizierung der Bauern und die Erweiterung der Möglichkeiten, Land zu Eigentum zu erwerben, haben sich später als für die Modernisierung der Landwirtschaft relevant erwiesen. (Cf. Charakter der Bauern, PS II, p. 828 f., p. 834 ff., p. 912.)

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  4. Hans von Müller (Bibliographie der Schriften Daniel Caspers von Lohenstein 1652–1748. In: Werden und Wirken. Ein Festgruß Karl W. Hiersemann zugesandt am 3. September zum 70. Geburtstag und 40jährigen Bestehen seiner Firma. Hg. von Martin Breslauer und Kurt Koehler, Leipzig 1924) »weist zwischen 1700 und 1748 nicht weniger als fünfzehn Neudrucke einzelner Werke Lohensteins nach«. (Autorenkollektiv, Hof als Adressat. In: G. Mattenklott;

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  5. K. R. Scherpe (Hg.), Westberliner Projekt: Grundkurs 18. Jahrhundert (Analysen), Kronberg/ Ts. 1974, p. 108.)

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  6. Fragmente zur Schilderung des Geistes, des Charakters und der Regierung Friedrichs des zweyten, von Christian Garve (fortan: Fragmente). Zweyter Theil, Breslau 1798, p. 56 f.

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  7. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, Tübingen 1922, Vorbemerkung, p. 7.

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  10. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Stuttgart 1965, p. 89;

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  11. Cf. Raoul Stephan, L’Épopée huguenote, Paris 1946, passim, etwa p. 104 f., p. 154 f.

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  14. Cf. etwa Alexis de Tocqueville, Der alte Staat und die Revolution, München 1978, p. 11 f., p. 22 ff., p. 35 f.

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  15. Cf. etwa H. Arendt, Über die Revolution, München 1965, passim.

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  16. Cf. E. Catholy, Die deutsche Komödie vor Lessing. In: Walter Hinck (Hg.), Die deutsche Komödie. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1977, p. 42 f.

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  17. Cf. Simon Bennett, Plato and Freud. The Mind in Conflict and the Mind in Dialogue. In: The Psychoanalytic Quarterly, 42 (1973).

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  18. Warum läutert sich der Geschmack im Ernsthaften früher, als im Komischen? (Fortan: Geschmack im Komischen.) Erstdruck in: Neue Bibliothek der Schönen Wissenschaften und der freyen Künste, Bd. LXIII (1800), p. ff. Jetzt in: PS II, p. 1214.

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  20. Cf. S. Freud, Ein Kind wird geschlagen. In: GW, Bd. 12,3. Aufl. 1966 o. O., p. 225 f.

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  23. Cf. Wolfgang Doktor, Die Kritik der Empfindsamkeit (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, hg. von B. Gajek, Reihe B, Bd. 5), Bern—Frankfurt am Main 1975, p. 173 ff.

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  24. W. Shakespeare, Macbeth. In: Shakespeare’s Tragedies, London 1901,1/5, p. 477.

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  25. Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik. Noch einige Betrachtungen über die Frage: »in wie fern ist es möglich, die Moral des Privatlebens bey der Regierung der Staaten zu beobachten?« (Fortan: Moral und Politik.) In: Philosophische Anmerkungen und Abhandlungen zu Cicero’s Büchern von den Pflichten von Christian Garve. Anmerkungen zu dem Dritten Buche. Vierte, mit einigen Anmerkungen und einer Abhandlung über die Verbindung der Moral mit der Politik vermehrte Ausgabe, Breslau 1792, p.19.

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  26. H. Plessner, Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus (1924), Bonn 1972.]

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  28. Cf. Jendris Alwast, Logik der dionysischen Revolte. Nietzsches Entwurf einer aporetisch dementierten ›kritischen Theorie‹ (Monographien zur philosophischen Forschung, Bd. 113), Meisenheim am Glan 1975, p. 49 ff.

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  29. Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister, Stuttgart 1972, p. 87.

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  30. Opper, Piagets Theorie der geistigen Entwicklung, Stuttgart 1975, p. 85 ff., p. 95 f.;

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  31. Die Stimmung, die Garve als »Unruhe« bezeichnet, dürfte allerdings nur gestandenen Parteigängern der in Wolffscher Tradition verharrenden Aufklärung als lebhaft erschienen sein. Goethe charakterisiert in einem wahrscheinlich bald nach 1820 entstandenen Fragment zur deutschen Literatur noch diejenige der ausgehenden Aufklärung als »ruhig«, »beschränkt«, »pedantisch« und »fixiert«. (Die Skizze ist wiedergegeben in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1971, p. 511.)

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  32. M. Mauke, Die Klassentheorie von Marx und Engels, Frankfurt am Main 1971, p. 7 ff., p. 53 ff.) — unterscheidet Klassen bekanntlich streng von den vorindustrielle Gesellschaften gliedernden Ständen.

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  33. Eine Stimmung, die nicht jeden heimgesucht hat. Lustspiele wie Die Geistlichen auf dem Lande (1743) und Die Candidaten (1748) von Johann Christian Krüger (jetzt in: Deutsche Nachdrucke, Reihe Texte des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1970) trotzen mit Mut den auch hier geschilderten Anlässen zu melancholischer Weltbetrachtung. Ähnliches gilt etwa auch für Sinngedichte Lessings (z.B. Auf Hipsen, G 1, p. 16) und Erzählungen seines Lehrers Abraham Gotthelf Kästner. [Z.B. Die lernbegierigen Bauern. In: Ders., Gesammelte poetische und prosaische schönwissenschaftliche Werke (4 Teile in 2 Bänden), Berlin 1841. Repr. Frankfurt am Main 1971.]

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  34. (Cf. A. Reuß, Die Industrieschulen um die Wende des 18. Jahrhunderts. Beiträge zu ihrer Geschichte unter besonderer Berücksichtigung ihrer Entwicklung in Baden und Hessen, Diss. Frankfurt am Main 1927, vor allem p. 28, p. 56, p. 60 f., p. 72, p. 98 ff.)

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  35. Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller, besonders der Dichter.- (Fortan: BV.) Aus dem zehnten Bande der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste (1779). Aufgenommen in: SeANB (1779), PSI, p.26 f.

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  36. Cf. Claus Offe, Leistungsprinzip und industrielle Arbeit. Mechanismen der Statusverteilung in Arbeitsorganisationen der industriellen »Leistungsgesellschaft«, Frankfurt am Main 1970, vor allem p. 52 f.

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  37. cf.: Heinz Heckhausen, Hoffnung und Furcht in der Leistungsmotivation, Meisenheim am Gian 1963, p. 256.

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  38. Cf. Ulrich Hohner, Zur Problematik der Naturnachahmung in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts (Erlanger Studien. Bd. 12), Erlangen 1976, p. 11, p. 95 ff., p. 153 f.

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  39. Aristoteles, Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie. Übersetzt und hg. von F. F. Schwarz, 980a/980b/981a, Stuttgart 1970, p. 17.

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  41. Cf. auch E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt am Main 1973, Bd.1, p.89.

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  43. Eigene Betrachtungen über die allgemeinsten Grundsätze der Sittenlehre. Ein Anhang zu der Uebersicht der verschiedenen Moralsysteme, Breßlau 1798, p. 76.

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Gleissner, R. (1988). Christian Garve. In: Die Entstehung der ästhetischen Humanitätsidee in Deutschland. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03248-5_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03248-5_4

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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