Zusammenfassung
Der im vorangegangenen Beitrag beschriebene Prozeß, in dessen Verlauf die Idee einer bürgerlichen Öffentlichkeit als handlungsanleitendes Regulativ in Politik und Schriftstellerei zerfällt, kommt in der Romantik zu einem vorläufigen Abschluß. Beunruhigt und sensibilisiert durch ihre Erfahrungen mit dem literarischen Markt und abgestoßen vom sich entfaltenden Wirtschaftsgeist des Bürgertums, ziehen sich die Romantiker mehr und mehr in die gesellschaftskritische Esoterik einer ästhetizistischen Praxis zurück. Literarischer Ausdruck dieser Haltung ist zum Beispiel der Künstlerroman, in dem das Leiden von Künstlern an der oberflächlichen Geschäftigkeit der Welt thematisiert wird. Um die offenkundigen Parallelen zwischen literarischer Produktion, kritischer Praxis und theoretischer Reflexion illustrieren zu können und um die einleitende Charakteristik weniger theorielastig zu halten, will ich zu Beginn kurz auf zwei Romanbeispiele eingehen. In Tiecks Künstlerroman Franz Sternbalds Wanderungen von 1798 wird der Held des Romans, ein Maler, immer wieder mit der bürgerlichen Wirtschaftsgesellschaft konfrontiert, um den thematisch dominanten Antagonismus zwischen Künstler und Bürgertum in das Bewußtsein der Leser zu senken. So hat Franz auf seiner Reise durch die Niederlande einen Brief seines verehrten Meisters, Albrecht Dürer, an einen flämischen Geschäftsmann zu überbringen. Bei einem Essen, das dieser Geschäftsmann gibt, begegnet Franz der lediglich an Wirtschaftsfragen interessierten bürgerlichen Gesellschaft der Stadt.
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Anmerkungen
Ludwig Tieck, Werke in vier Bänden, hrsg. von M. Thalmann, Darmstadt 1963–1966, Bd. 1, S.718f.
Wilhelm Heinrich Wackenroder, Werke und Briefe, Heidelberg 1967, S. 80.
Ebda, S. 112.
Ebda, S. 114.
Kurt Röttgers, Kritik und Praxis. Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx, Berlin und New York 1975, S. 21.
Oscar Fambach (Hrsg.), Ein Jahrhundert deutscher Literaturkritik (1750–1850), Bd. V, Berlin 1963, S. 603, (fortan zitiert als Fambach, Jahrhundert).
Clemens Brentano, Werke, Hrsg, von F. Kemp, München 1963, Bd. II, S. 1135 f.
Walter Benjamin, Gesammelte Schriften Bd. I,1, hrsg. von R. Tiedemann und H. Schwep— penhäuser, Frankfurt/Main 1974, S. 109.
Vgl. dazu Jochen Schulte-Sasse, Die Kritik an der Trivialliteratur seit der Aufklärung. Studien zur Geschichte des modernen Kitschbegriffs, München 1971, S. 113–126.
Friedrich Schlegel 1794–1802. Seine prosaischen Jugendschriften, hrsg. von J. Minor, Wien 1882, Bd. 1, S. 95.
Jürgen Habermas, »Der Eintritt in die Postmoderne«, in: Merkur 37 (1983), Heft 10, S. 751.
Jürgen Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt/Main 1973, S. 110.
Vgl. z. B. Gisela Dischner, Bettina von Arnim: Eine weibliche Sozialbiographie aus dem 19. Jahrhundert, Berlin 1977, S. 64.
Ebda, S. 41.
Henri Brunschwig, Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert. Die Krise des preußischen Staates am Ende des 18. Jahrhunderts und die Entstehung der romantischen Mentalität, Frankfurt/Main u. a. 1975, S. 292.
Hans Mayer (Hrsg.), Meisterwerke deutscher Literaturkritik Bd. 1 : Aufklärung, Klassik, Romantik, 2. Aufl., Berlin 1956, S. 759. Fortan zitiert als Mayer, Meisterwerke.
Ebda, S. 659.
Johann Gottlieb Fichte, Sämmtliche Werke, hrsg. von J. H. Fichte, Bd. 7, Berlin 1846, S. 66.
Ebda, S. 26.
Ebda, S. 30.
Vgl. dazu Jochen Schulte-Sasse, »Das Konzept bürgerlich-literarischer Öffentlichkeit und die historischen Gründe seines Zerfalls«, in: Christa Bürger et al. (Hrsg.), Aufklärung und literarische Öffentlichkeit, Frankfurt/Main 1980, S. 83–115, und die in Anm. 13 genannte Arbeit.
Gerda Heinrich, Geschichtsphilosophische Positionen der deutschen Frühromantik (Friedrich Schlegel und Novalis), Berlin (DDR) 1976, S. 74.
Geraint Parry, »Enlightened Government and its Critics in Eighteenth Century Germany«, in: Historical Journal IV, 2 (1963), S. 182.
Vgl. dazu mein Dramenkapitel in Rolf Grimminger (Hrsg.), Sozialgeschichte der deutschen Literatur Bd. III, München 1980, S. 423–499.
Christoph Jamme und Helmut Schneider (Hrsg.), Mythologie der Vernunft. Hegels »ältestes Systemprogramm« des deutschen Idealismus, Frankfurt/Main 1984, S. 11f.
Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 1967, S. 24 f.
Vgl. ebda, S. 118.
Ebda, S. 60.
Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, hrsg. von Karl Vorländer, Hamburg 1963, S. 177.
Dieter Arendt, Der poetische Nihilismus in der Romantik. Studien zum Verhältnis von Dichtung und Wirklichkeit. Tübingen 1972, Bd. I, S. 12.
Hans-Joachim Mähl, Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis. Studien zur Wesensbestimmung der frühromantischen Utopie und zu ihren ideengeschichtlichen Voraussetzungen, Heidelberg 1965, S. 357.
Vgl. dazu die Deutung der historischen Avantgarde bei Peter Bürger, Theorie der Avantgarde, Frankfurt/Main 1974.
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, hrsg. von Raymund Schmidt, Hamburg 1956, S. 687 f.
Vgl. dazu Jochen Hörisch, Die fröhliche Wissenschaft der Poesie. Der Universalitätsanspruch von Dichtung in der frühromantischen Poetologie, Frankfurt/Main 1976, S. 80.
Ludwig Tieck, Poetisches Journal, Jena 1800, S. 24 f.
Heinz-Dieter Weber, Über eine Theorie der Literaturkritik. Die falsche und die berechtigte Aktualität der Frühromantik, München 1971, S. 55.
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Kunst, Darmstadt 1976, S. 3.
Vgl. dazu Jochen Schulte-Sasse, »Literarischer Markt und ästhetische Denkform. Analysen und Thesen zur Geschichte ihres Zusammenhangs«, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 2 (1972), S. 11–33.
Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen 1960, S. 233 f.
Carl Schmitt, Politische Romantik, Berlin 1919, S. 104.
Ebda, S. 226.
Lothar Pikulik, Romantik als Ungenügen an der Normalität. Am Beispiel Tiecks, Hoffmanns, Eichendorffs, Frankfurt/Main 1979, S. 88.
August Wilhelm Schlegels, Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst, in: Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts. Bde. 17–19, Stuttgart 1884, hrsg. von J. Minor.; hier Bd. 17, S. 93.
Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Hauptwerke, zusammengefaßt und übertragen von G. Krüger, Stuttgart 1958, S. 143.
Vgl. dazu die Forschungen von José Antonio Maravall, besonders: La Cultura del Barroco, Barcelona 1975.
Vgl. dazu das ausgezeichnete Buch von Manfred Frank, Der kommende Gott. Vorlesungen über die neue Mythologie, Frankfurt/Main 1982.
Ebda, S. 234.
Joseph Freiherr von Eichendorff Werke Bd. III, München 1976, S. 153.
Willi Oelmüller, Die unbefriedigte Aufklärung. Beiträge zu einer Theorie der Moderne von Lessing, Kant und Hegel, mit einer neuen Einl., Frankfurt/Main 1979, S. XXXI.
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Schulte-Sasse, J. (1985). Der Begriff der Literaturkritik in der Romantik. In: Hohendahl, P.U. (eds) Geschichte der deutschen Literaturkritik (1730–1980). J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03209-6_3
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