Zusammenfassung
Es wird wohl jedem Leser des Hamannschen Briefwechsels so gehen, daß ihn die thematische Vielfalt verwirrt, das Kaleidoskop der zunächst fremden Namen, Schriften, Streitfragen, Anspielungen ratlos läßt. Dazu kommt, daß viel Sand des Belanglosen durchs Sieb des Lesens gehen zu müssen scheint, ehe sich ein Goldkorn des erleuchteten Gedankens erschütteln läßt. Hamann selbst war nicht nur ein großer, er war auch ein eiliger Leser. Aber wie seine Schriften, so wollen auch seine Briefe nicht durchblättert sein. Auch hier liebt er, bei oft scheinbarer Weitschweifigkeit, eigentlich die Abbreviatur mehr als die Abhandlung. Er faßt zusammen, er stellt nicht dar. Wer aber den submarinen Zusammenhang seiner Gedanken-Archipele (E. Jünger) zu ergründen Geduld genug aufbringt, dem erscheint eine tiefsinnige Figur. Dem Leser seiner Briefe aber erscheint er weit komplexer als es die vereinfachten Bilder, unter denen ihn die Geistesgeschichte begreift, verraten. Ja, anders selbst als die brieflichen Selbstporträts, in welchen er sich einseitig auf vereinsamenden Hypochonder stilisiert. Das Verbergen des Ich ist geradezu eine Marotte des fünfzigjährigen Hamann. Er wahrt sein Inkognito dann am stärksten, wenn er sich — wie 1778/79 — in einer Krise befindet. Dann wird die Selbstkritik zum Stigma. Er bezichtigt sich der Armuth des Geistes, der nicht nur schriftstellerischen Unzulänglichkeit. Goethe aber nannte ihn cette tête unique. Der flüchtig Lesende ist in der Gefahr, sich von Hamanns Selbstaussagen täuschen zu lassen; der langsamere Leser lernt — etwa an gleichzeitigen Briefen an verschiedene Empfänger — in den Varianten, wie problematisch er sich selbst ist.
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Henkel, A. (1983). In telonio sedens. In: Der Zeiten Bildersaal. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03187-7_4
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03187-7_4
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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