Zusammenfassung
»Die Griechen haben ein Sprichwort: Die Kraniche des Ibicus, dessen Bedeutung Ew. Wohlgeb. bekannt seyn wird; nun soll aus diesem Stoff eine Ballade gebildet werden, und wir wünschten zu diesem Behufe einige Nachricht, wo sich die Geschichte begeben, und ob von dem Manne selbst etwas näheres als sein letztes Schicksal bekannt wäre?«[2]
Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag, den ich am 17. November 1980 vor der Wiesbadener Goethe-Gesellschaft gehalten habe. In sehr veränderter Form machte ich das Thema zum Gegenstand meiner Bamberger Antrittsvorlesung am 15. Juli 1982. — Ich habe dem Text die gesprächsoffene Vortragsform weitgehend belassen; sie entspricht dem freundschaftlichen Diskurs der klassischen Dioskuren, dem Anlaß dieser Druckschrift und der Persönlichkeit Walter Müller-Seidels, dem ich als Schüler, Mitarbeiter und Kollege Belehrung und Beispiel verdanke.
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Anmerkungen
Goethes Werke. Hg. im Auftrage der Großherzogin von Sachsen. IV. Abtheilung: Goethes Briefe Bd. 12. Weimar 1893, S. 194. — Künftig zitiert: WA IV, 12.
Schillers Briefe. Hg. und mit Anm. versehen von Fritz Jonas. Krit. Gesamtausgabe. Bd. 5. Stuttgart, Leipzig u. Wien (1895), S. 208. — Künftig zitiert: Jonas 5.
WA IV, 12, S. 169.
Insofern ist der Titel des Aufsatzes von Düntzer etwas mißverständlich: Heinrich Düntzer: Goethes und Schillers Kraniche des Ibykus. In H. D.: Neue Goethestudien. Nürnberg 1861 S. 285–296. — Noch ohne Kenntnis der von Böttiger beigebrachten Quellen der Ibykus-Ballade — noch der WA (IV, 12, S. 426) galt der »Brief Böttigers nicht überliefert« — kommentiert Düntzer die Briefdiskussion zwischen Goethe und Schiller mit dem Interesse, »einen aufhellenden Blick in den verschiedenen Charakter der Dichter selbst« (S. 286) zu tun.
Schiller prägte den Begriff, als es mit dem Lied von der Glocke nicht recht vorangehen wollte: »Auch ist dieses einmal das Balladenjahr, und das nächste hat schon ziemlich den Anschein das Liederjahr zu werden« (Brief an Goethe vom 22. September 1797, Jonas 5, S. 263f.).
So im Brief an Christian Gottfried Körner vom 20. Juli 1797 (WA IV, 12, S. 198).
Hierzu Walter Müller-Seidel: Naturforschung und deutsche Klassik. Die Jenaer Gespräche im Juli 1974. In: Untersuchungen zur Literatur als Geschichte. Festschrift für Benno von Wiese. Hg. v. Vincent J. Günther, Helmut Koopmann, Peter Pütz u. Hans Joachim Schrimpf. Berlin 1973, S. 61–78.
In der Charakterisierung der ›Phasen‹ der Zusammenarbeit zwischen Goethe und Schiller, die den literaturgeschichtlichen Ort der Balladenproduktion und -diskussion markieren soll, wiederhole ich Formulierungen eines eigenen Beitrags; Wulf Segebrecht: Lyrik der Klassik. In: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Hg. v. Klaus von See. Bd. 14: Europäische Romantik I. Hg. v. Karl Robert Mandelkow. Wiesbaden 1982, S. 141–178.
Schillers Werke. Nationalausgabe Bd. 22: Vermischte Schriften. Hg. v. Herbert Meyer. Weimar 1958, S. 106f. — Wie sorgfältig und mit poetischer Umsicht Goethe seine Beteiligung an Schillers Horen und damit zugleich die Begründung des Freundschaftsbundes geplant hat, ist zuletzt von Karl-Heinz Hahn dargelegt worden; Karl-Heinz Hahn: Im Schatten der Revolution — Goethe und Jena im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch des Wiener Goethe-Vereins 81/82/83 (1977/1978/1979), S. 37–58.
WA IV, 11, S. 263.
WA IV, 12, S. 265.
Goethe (vgl. Anm. 3) nimmt diese Bezeichnung aus Schillers Brief vom 26. Juni 1797 (Jonas 5, S. 208) auf.
Hier zitiert nach: Svidae Lexicon. Editio stereotypa editionis primae [MCMXXXI]. Hg. v. Ada Adler (Sammlung wissenschaftlicher Commentare. Lexicographi Graeci 1) Pars II. Stuttgart 1967, S. 607. — Die Kenntnis dieser Quelle »oder einer daraus schöpfenden lateinischen Sprichwörtersammlung« nahm schon Düntzer: Kraniche, S. 286, an. A. Leitzmann (s. Anm. 15) übergeht sie. — Meinem Bamberger Kollegen Rudolf Rieks habe ich für die Hilfe bei der Suche nach den Sprichwortnachweisen zu danken.
Die Textstelle ist abgedruckt bei Albert Leitzmann: Die Quellen von Schillers und Goethes Balladen. Zusammengestellt von A. L. 2. Aufl. (Kleine Texte für theologische und philologische Vorlesungen und Übungen 73) Bonn 1923, S. 9. — Als eines unter vielen Beispielen der im 18. Jahrhundert gebräuchlichen kompilierenden Sprichwörtersammlungen sei hier genannt: Adagia, Id est; Proverbiorum, paroemiarum et parabolarum omnium, quae apud Graecos, Latinos, Hebraeos, Arabes, &c. In usu fuerunt, Collectio absolutissima, in locos communes digesta. In qua continentur suis quaeque locis accurato ordine posita: [Es folgen 15 Autoren, darunter als erster Erasmus]. […] Francoforti, Ex Officina Johannis Petri Zubrodt. Anno MDCLXX. Hier findet sich das Stichwort »Ibyci grues« der Rubrik »Ultio malefacti« (S. 724) zugeordnet.
Vgl. den Abdruck des an Goethe gerichteten Briefes bei Karl Ende: Beitrag zu den Briefen an Schiller aus dem Kestner-Museum. In: Euphorion 12 (1905), S. 364–402. Hier S. 388. — Der Herausgeber erwähnt »über der Adresse allerhand Exempel« von Schillers Hand. Eine Nachprüfung ergab keinen Bezug dieser Zahlenreihe zu dem Ibykus-Vorhaben.
Ebd.
Anthologia Graeca. Buch VII–VIII. Griechisch-Deutsch hg. v. Hermann Beckby. (1. Aufl. 1957). 2. verb. Aufl. München o. J., S. 438. Ebd. S. 439 eine deutsche Übersetzung: Räuber erschlugen dich einst, o Ibykos, als du des Eilands leeres, von menschlicher Spur ödes Gestade betratst. Kraniche hörten dich schreien; sie kamen als Zeugen und sahen, welch einen grausamen Tod dir das Verderben gebracht. Nicht umsonst war der Ruf. Erinnyen, die strafenden, haben dank der Vögel Geschrei deine Ermordung gerächt in des Sisyphos Land. — Goldgierige Horde der Räuber, warum hattet ihr nicht Furcht vor der Himmlischen Zorn? Auch nicht Aigisthos ist einst dem Auge der dunkelumhüllten Eumeniden entflohn, als er den Sänger erschlug.
Ende: Beitrag zu den Briefen, S. 388.
Ebd.
»Narrat hanc fabulam et Plutarchus in libro de futili loquacitate«. Zitiert nach Leitzmann: Quellen, S. 9. Sowohl nach Erasmus als auch nach Aldrovandi (s. dazu die folgende Anm.) hat Plutarch die Szene der Entdeckung der Mörder stattfinden lassen, »cum iidem latrones in foro sederent«, nicht »in theatro«. Demgegenüber heißt es in modernen Plutarch-Ausgaben: »ἐν θεάτρῳ καθήμενοι« (Plutarch’s Moralia. Hg. v. W. C. Helmbold. Bd. 6. London 1970, S. 438). Schiller und Goethe jedenfalls dürften das Theater als Handlungsort der Rache erst durch Böttigers Brief in Betracht gezogen haben. Böttiger seinerseits verdankt diese Information nicht Erasmus, sondern Aldrovandi. Dieser ist der einzige unter den von Böttiger angeführten Gewährsleuten, der (vor dem Plutarch-Referat) erzählt, die Entdeckung der Mörder habe im Theater stattgefunden; und nur er weist das Epigramm des Antipatros von Sidon im vollen Wortlaut (in lateinischer Sprache) nach. — Unkritisch werden die Quellen angeführt bei Benno von Wiese: Friedrich von Schiller, Die Kraniche des Ibykus. In B. v. W. (Hg.): Die deutsche Lyrik. Form und Geschichte. Interpretationen. Vom Mittelalter bis zur Frühromantik. Düsseldorf 1959, S. 347–363. Hier S. 351f.
Ulissis Aldrovandi Ornithologiae Libri XX. Pars III. Frankfurt a. M. 1610. — A. Leitzmann zitiert eine andere Auflage (Bononiae 1637). Böttiger bezieht sich auf eine weitere Ausgabe.
Vgl. hierzu Wolfgang Harms: Allegorie und Empirie bei Konrad Gesner. Naturkundliche Werke unter literaturwissenschaftlichen Aspekten. In: Akten des V. Internationalen Germanisten-Kongresses Cambridge 1975, Heft 3 (Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A. Kongreßberichte Bd. 2), S. 119–123. — Harms führt u. a. auch Aldrovandi als Nachfolger Gesners an (S. 120). Vgl. zum Problemkomplex auch den wichtigen Sammelband: Natura loquax. Naturkunde und allegorische Naturdeutung vom Mittelalter bis zur frühen Neuzeit. Hg. v. Wolfgang Harms u. Heimo Reinitzer (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 7) Frankfurt a. M. u. a. 1981.
Das wird oft übersehen, wenn davon die Rede ist, Goethe habe Schiller den Ibykus-Stoff zur Bearbeitung überlassen.
Brief vom 19. Juli 1797; WA IV, 12, S. 195. Am 21. Juli beschließt Schiller definitiv, sein »Glück an den Kranichen [zu] versuchen«; Jonas 5, S. 225.
Jonas 5, S. 232.
Nach Schillers Kalender wurde die Ballade am 11. August »angefangen«, am 16. August war sie »fertig« (Schillers Calender vom 18. Juli 1795 bis 1805. Hg. v. Emilie von Gleichen-Rußwurm. Stuttgart 1865, S. 47f.). Am 17. August schickt er Goethe diese Fassung; Jonas 5, S. 243.
H. Düntzer (Kraniche des Ibykus), Helmut Rehder (Die Kraniche des Ibykus. The Genesis of a Poem. In: Journal of English and Germanic Philology 48, 1949, S. 543–567) und Friedrich-Wilhelm Wentzlaff-Eggebert (Friedrich Schiller, Die Kraniche des Ibykus. In: Wege zum Gedicht II. Interpretationen von Balladen. Mit einer Einführung von W. Müller-Seidel. Hg. v. Rupert Hirschenauer u. Albrecht Weber. Neuaufl. München 1964, S. 213–228. Hier S. 224–228) haben, mit unterschiedlichen Ergebnissen, Rekonstruktionen dieser Fassung versucht. Doch kranken diese Versuche daran, daß nur an später hinzugefügte ganze Strophen gedacht wird, nicht an Veränderungen innerhalb der Strophen, die aufgrund von Goethes Vorschlägen notwendig wurden.
Dieses Musterbeispiel einer ausführlichen, produktiven Kritik findet sich im Brief vom 22. bis 24. August 1797; WA IV, 12, S. 262.
Ebd. S. 259.
Ebd. S. 260.
Schillers Werke. Nationalausgabe Bd. 1: Gedichte in der Reihenfolge ihres Erscheinens 1776–1799. Hg. v. Julius Petersen † u. Friedrich Beißner. Weimar 1943, S. 390.
Daran ändert der Umstand nichts, daß Schiller Wilhelm von Humboldts Übersetzung der Selbstdarstellung der Eumeniden nach Äschylos (in: Berlinische Monatsschrift 22, 1793, S. 152–156) offensichtlich gekannt und benutzt hat; als ›Quelle‹ ist dieser Text gleichwohl nicht anzusprechen. Vgl. dagegen A. Leitzmann: Die Quellen von Goethes und Schillers Balladen, S. 11–13. Humboldt zeigte sich von Schillers Ballade geradezu begeistert. Vgl. Der Briefwechsel zwischen Friedrich Schiller und Wilhelm von Humboldt. Hg. v. Siegfried Seidel. Bd. 2. Berlin 1962, S. 135ff.
Schillers Werke. Nationalausgabe Bd. 20: Philosophische Schriften. Erster Teil. Unter Mitwirkung von Helmut Koopmann hg. v. Benno von Wiese. Weimar 1962, S. 92.
WA IV, 12, S. 259.
Jonas 5, S. 250.
Jonas 5, S. 247.
Jonas 5, S. 250.
Jonas 5, S. 251.
WA IV, 12, S. 310f.
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Segebrecht, W. (1983). Naturphänomen und Kunstidee. Goethe und Schiller in ihrer Zusammenarbeit als Balladendichter, dargestellt am Beispiel der Kraniche des Ibykus. In: Richter, K., Schönert, J. (eds) Klassik und Moderne. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03181-5_9
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