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Sprache und Wahrheit. Reflexionen zur Kunst

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Kafka — Poetik der sinnlichen Welt
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Zusammenfassung

Die nun sich anschließende letzte Studie zu Kafkas Poetik befaßt sich noch einmal mit dem, was Wesen dieser Dichtung ist und das Thema dieser Untersuchung bestimmt hat: der Sprache. Nach der Analyse des Werkes in den vorangegangenen Studien rücken in den folgenden Abschnitten nun mehr die verstreuten Äußerungen Kafkas zur Ästhetik in Briefen und Tagebüchern in den Vordergrund. Der indiskrete Blick jedoch, mit dem man diesen Schriftsteller sich hat fraternisieren und gefügig machen wollen, wird allerdings auch hier nichts verloren haben.

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Anmerkungen

  1. Dieser Brief vom 5. VII. 1922 (Br 382–387) an Max Brod enthält einige der aufschlußreichsten Aussagen Kafkas zu seinem Selbstverständnis, u. a. heißt es hier: »Als ich heute in der schlaflosen Nacht alles immer wieder hin- und hergehn ließ zwischen den schmerzenden Schläfen, wurde mir wieder, was ich in der letzten genug ruhigen Zeit fast vergessen hatte, bewußt, auf was für einem schwachen oder gar nicht vorhandenem Boden ich lebe, über einem Dunkel, aus dem die dunkle Gewalt nach ihrem Willen hervorkommt und, ohne sich an mein Stottern zu kehren, mein Leben zerstört. Das Schreiben erhält mich, aber es ist nicht richtiger zu sagen, daß es diese Art Leben erhält? Damit meine ich natürlich nicht, daß mein Leben besser ist, wenn ich nicht schreibe. Vielmehr ist es dann viel schlimmer und gänzlich unerträglich und muß mit dem Irrsinn enden. Aber das freilich nur unter der Bedingung, daß ich, wie es tatsächlich der Fall ist, auch wenn ich nicht schreibe, Schriftsteller bin und ein nicht schreibender Schriftsteller ist allerdings ein den Irrsinn herausforderndes Unding. Aber wie ist es mit dem Schriftstellersein selbst? Das Schreiben ist ein süßer wunderbarer Lohn, aber wofür? In der Nacht war es mir mit der Deutlichkeit kindlichen Anschauungsunterrichtes klar, daß es der Lohn für Teufelsdienst ist. […] Aber warum bleibt darüber hinaus das Schlußwort in solchen Nächten immer: Ich könnte leben und lebe nicht. Der zweite Hauptgrund — vielleicht ist es auch nur einer, jetzt wollen sich mir die zwei nicht recht sondern — ist die Überlegung: ›Was ich gespielt habe, wird wirklich geschehn. Ich habe mich durch das Schreiben nicht losgekauft. Mein Leben lang bin ich gestorben und nun werde ich wirklich sterben. Mein Leben war süßer als das der andern, mein Tod wird um so schrecklicher sein. Der Schriftsteller in mir wird natürlich sofort sterben, denn eine solche Figur hat keinen Boden, hat keinen Bestand, ist nicht einmal Staub; ist nur im tollsten irdischen Leben ein wenig möglich, ist nur eine Konstruktion der Genußsucht. Dies ist der Schriftsteller. Ich selbst aber kann nicht weiterleben, da ich ja nicht gelebt habe, ich bin Lehm geblieben, den Funken habe ich nicht zum Feuer gemacht, sondern nur zur Illuminierung meines Leichnams benützt.‹ Es wird ein eigentümliches Begräbnis werden, der Schriftsteller, also etwas nicht Bestehendes, übergibt den alten Leichnam, den Leichnam seit jeher, dem Grab. Ich bin genug Schriftsteller, um das in völliger Selbstvergessenheit — nicht Wachheit, Selbstvergessenheit ist erste Voraussetzung des Schriftstellertums — mit allen Sinnen genießen oder, was desselbe ist, erzählen zu wollen, aber das wird nicht mehr geschehn. Aber warum rede ich nur vom wirklichen Sterben. Im Leben ist es ja das Gleiche.« (Br 384ff.)

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  2. Bert Nagel, Franz Kafka, Aspekte zur Interpretation und Wertung, Berlin 1974, S. 43.

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  3. Ingeborg Henel, Ein Hungerkünstler, in: DVjs 38, H. 2, 1964, S. 230–247, S. 231; pathetisch heißt es hier gleich auch: »Not und Veranlagung machten ihn zu einem Bürger des Himmels, aber er wünschte sich nichts mehr, als ein Bürger der Erde zu werden.« (S. 231)

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  4. Gerhard Kurz, Traum — Schrecken, S. 9; vgl. auch B. Nagel, a.a.O., S. 58ff.

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  5. G. Kurz, a.a.O., S. 1–17. Kurz nimmt Kafkas Bilder für bare Wirklichkeit und überdehnt sie so gelegentlich bis an die Grenzen der Geschmacklosigkeit (vgl. a.a.O., S. 9).

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  6. G. Kurz, a.a.O., S. 13, da heißt es dann auch: »das Hervorbringen als Gebären, das Werk als lebendiges Wesen, als ein Kind« (S. 13).

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  7. G. Kurz, a.a.O., S. 16.

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  8. Heinz Hillmann, Schaffensprozeß, in: Kafka-Handbuch, Bd. 2, S. 15–35.

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  9. H. Hillmann, a.a.O., S. 15.

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  10. Ohne Erkenntnisse aus Neurologie, Neurolinguistik, Psychologie u. ä. wird auch eine Ästhetik nicht mehr als spekulative Modelle hervorbringen.

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  11. Vgl. den oben S. 201 in Anm. 1 wiedergegebenen Brief.

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  12. Vermutlich war es nicht die Kunst als von Kafka über alles gesetzter Selbstzweck, an der sie scheiterten, sondern eher sein deutliches Wissen, daß die Ehe ähnlich wie die ›Versenkung‹ in die bürokratische Praxis eine konsensstabilisierende Sozialform ist, die Wirklichkeit festsetzt oder schafft und damit zwangsläufig jede Subjektivität so bindet, daß die »Exterritorialität« des Beobachters, aus der Kafka schrieb, gar nicht mehr möglich ist.

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  13. Heinz Hillmann, Franz Kafka. Dichtungstheorie und Dichtungsgestalt. 2., erw. Aufl. Bonn 1973.

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  14. Vgl. H. Hillmann, a.a.O., S. 18–50.

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  15. Vgl. nochmals den oben zitierten Brief, in dem es kurz nach der dort angeführten Stelle heißt: »denn das Dasein des Schriftstellers ist wirklich vom Schreibtisch abhängig, er darf sich eigentlich, wenn er dem Irrsinn entgehen will, niemals vom Schreibtisch entfernen, mit den Zähnen muß er sich festhalten.« (Br 386)

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  16. Von »Wahnsinnszeiten« (Br 431), vom »Wahn« (Br 431), vom »›irrsinnig‹ werden« (Br 431) und ähnlichem ist in den späteren Briefen und Aufzeichnungen Kafkas immer wieder die Rede; diese Angst vor dem »Irrsinn« spricht vermutlich Kafkas Wissen um einen Zusammenhang aus, der den Interpretationen des Konsens zwar fremd ist, über den aber die Dichtung seit Sophokles immer wieder berichtet, daß der Wahn dort als (sozial weder geteilte noch mitteilbare) ›Lüge‹ beginnt, wo Wahrheit subjektiv unerträglich und untragbar wird.

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  17. J. Kobs, Untersuchungen, S. 533.

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  18. F. Beißner, Kafkas Darstellung des »traumhaften innern Lebens«, bes. S. 14ff.

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  19. Vgl. F. Beißner, a.a.O., S. 16.

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  20. Janouch hatte in diesem Gespräch die Bemerkung Kafkas, daß »Kunst ein Spiegel« (J 204) sei, angeführt, worauf Kafka »gequält« (J 204) die oben zitierten Sätze geäußert habe.

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  21. Kafka sprach stets vom »Schreiben« und nicht etwa vom ›Dichten‹ o. dgl.

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  22. Vor der flüchtig gesprächsweise dahingeworfenen Sprache hatte Kafka eine häufig geäußerte Abneigung, in der sich vor allem eine tiefverwurzelte Furcht vor dem scheinbar Belanglosen und deswegen auch oft so Gefährlichen ausdrückt, vgl. neben der Tagebucheintragung vom 2. November 1911 (T 137) und der Bemerkung, »Gespräche nehmen allem, was ich denke, die Wichtigkeit, den Ernst, die Wahrheit« (T 311), die folgende Erklärung in dem Brief an Felice vom 20. VIII. 1913: »Mir widerstrebt das Reden ganz und gar. Was ich auch sage ist falsch in meinem Sinn. Die Rede nimmt allem, was ich sage, für mich den Ernst und die Wichtigkeit. Es scheint mir gar nicht anders möglich, da auf die Rede unaufhörlich tausend Äußerlichkeiten und tausend äußerliche Nötigungen wirken. Ich bin deshalb schweigsam, nicht nur aus Not, sondern auch aus Überzeugung. Nur das Schreiben ist die mir entsprechende Form/der/ Äußerung, und sie wird es bleiben, auch wenn wir beisammen sind.« (F 448)

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  23. Vgl. oben S. 126.

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  24. Vgl. auch oben S. 15.

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  25. Kafkas Prosa ist auf ein Minimum an (explikativen) Konjunktionen beschränkt.

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  26. Den existentiellen Verzicht betonen übereinstimmend und in ähnlicher Form fast alle Arbeiten zur Bedeutung der Kunst im Werk Kafkas oder für Kafka selbst; vgl. u. a. auch Benno von Wiese, Franz Kafka. Ein Hungerkünstler, in: B. v. W., Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka, Interpretationen I, Düsseldorf 1967, S. 325–342, S. 340, oder den Aufsatz von Edmund Edel, Zum Problem des Künstlers bei Kafka, in: DU 15, 1963, H. 3, S. 9–31. Edel allerdings harmonisiert (S. 31) noch mehr als v. Wiese (vgl. a.a.O., S. 342) das Verhältnis von Künstler, Kunst und Gesellschaft, wie es keiner Äußerung Kafkas zu entnehmen ist.

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  27. Daß linguistische Forschungen dem recht geben, ist wohl kaum zu erwähnen.

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  28. In allen extensionalen Bezeichnungen, Wörtern, Namen.

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  29. Ein regelrechtes Besitzverhältnis ist diese Beziehung, weil das Subjekt selbst wieder keine abtrennbare, an sich bestehende Substanz ist, sondern wie jeder Satz über ein, ›das‹ Subjekt beweist, selbst wieder objektivierbar ist. Im übrigen ist damit erstens ein Sachverhalt angesprochen, der sich universal in allen Sprachen wiederfindet: nämlich die (syntaktische wie semantische) Subjekt-Objekt-Struktur, und zweitens, daß auch in der Sprache das Gesetz der hierarchischen Ordnung gilt. Damit hat Kafka das folgenreiche Verhältnis von Sprache und Macht auf seiner wohl zugrundeliegenden und ursprünglichsten Ebene analysiert.

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  30. Der Satz hat.eine komplexere Subtilität als es zunächst vielleicht scheint; das Licht leugnet er nicht, aber das, »Fratzengesicht« deutet wohl an, daß es weniger mit Erleuchten als mit ›Blenden‹ zu tun hat; vgl. hierzu:»Die Kunst fliegt um die Wahrheit, aber mit der entschiedenen Absicht, sich nicht zu verbrennen. Ihre Fähigkeit besteht darin, in der.dunklen. Leere einen Ort zu finden, wo der. Strahl des Lichts, ohne daß dies vorher zu erkennen gewesen wäre, kräftig aufgefangen werden kann.« (H 104)

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  31. Daß Kafka hierbei den historischen Stellenwert einer solchen Sprachkritik und der von ihr abhängigen poetischen und ästhetischen Formen erkannte, läßt nicht nur sein Geschichtsbewußtsein vermuten, wie es in den Aufzeichnungen und vor allem den späten Erzählungen zum Ausdruck kommt. Eine Bemerkung zu Dichtung und Historizität Goethes analysiert den Zusammenhang von Sprache, Sprachgeschichte, Literatur sowie Ideologie- und Realgeschichte in einer Weise, die Licht auf Kafkas eigenes Sprachverständnis wirft und manches von der Konsequenz erklärt, wie er mit literarischen Traditionen und sprachlichen wie ästhetischen Formen brach. »Goethe hält durch die Macht seiner Werke die Entwicklung der deutschen Sprache wahrscheinlich zurück. Wenn sich auch die Prosa in der Zwischenzeit öfters von ihm entfernt, so ist sie doch schließlich, wie gerade gegenwärtig, mit verstärkter Sehnsucht zu ihm zurückgekehrt und hat sich selbst alte, bei Goethe vorfindliche, sonst aber mit ihm nicht zusammenhängende Wendungen angeeignet, um sich an dem vervollständigten Anblick ihrer grenzenlosen Abhängigkeit zu erfreuen.« (T 212)

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  32. Vgl. dazu auch den Schluß der Erzählung »Josefine, die Sängerin, oder das Volk der Mäuse«: »Mit Josefine aber muß es abwärts gehn. Bald wird die Zeit kommen, wo ihr letzter Pfiff ertönt und verstummt. Sie ist eine kleine Episode in der ewigen Geschichte unseres Volkes und das Volk wird den Verlust überwinden. Leicht wird es uns ja nicht werden; wie werden die Versammlungen in völliger Stummheit möglich sein? Freilich, waren sie nicht auch mit Josef ine stumm? War ihr wirkliches Pfeifen nennenswert lauter und lebendiger, als die Erinnerung daran sein wird? War es denn noch bei ihren Lebzeiten mehr als eine bloße Erinnerung? Hat nicht vielmehr das Volk in seiner Weisheit Josefinens Gesang, eben deshalb, weil er in dieser Art unverlierbar war, so hoch gestellt? Vielleicht werden wir also gar nicht sehr viel entbehren, Josefine aber, erlöst von der irdischen Plage, die aber ihrer Meinung nach Auserwählten bereitet ist, wird fröhlich sich verlieren in der zahllosen Menge der Helden unseres Volkes, und bald, da wir keine Geschichte treiben, in gesteigerter Erlösung vergessen sein wie alle ihre Brüder.« (E 290f.)

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  33. Vgl. oben S. 95.

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  34. In einem Brief aus dem Jahre 1903 heißt es einmal: »Gott will nicht, daß ich schreibe, ich aber, ich muß« (Br 21). Jürgen Demmer, Franz Kafka. Der Dichter der Selbstreflexion. Ein Neuansatz zum Verstehen der Dichtung Kafkas. Dargestellt an der Erzählung Das Urteil, München 1973, meint, S. 99, hierzu: »Er [Kafka] verurteilt zwar sein Schreiben als Auflehnung gegen Gott, glaubt aber, seine Auflehnung nicht aufgeben zu können«.

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Kessler, S. (1983). Sprache und Wahrheit. Reflexionen zur Kunst. In: Kafka — Poetik der sinnlichen Welt. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03176-1_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03176-1_6

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-00528-1

  • Online ISBN: 978-3-476-03176-1

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