Zusammenfassung
Die bisher aufgeführten Funktionen der Literatur (die didaktische, die gesellige und die sensibilisierende, die entlastende und die erfahrungserweiternde) lassen sich insgesamt als stabilisierende Funktionen der Literatur im Prozeß der Zivilisation bezeichnen. In der Uberlegung, daß sich diese Funktionen in jeweils unterschiedlicher Weise dem Beziehungsgefüge der dominanten, residualen und progredierenden Verhaltensstandards zuordnen lassen, wird deutlich, daß die stabilisierenden Funktionen der Literatur im Prozeß der Zivilisation mit der Affirmation des jeweils bestehenden Zustandes der Gesellschaft nicht überein zu kommen brauchen, wenngleich es — und nicht selten — literarische Zeugnisse gibt, deren stabilisierende Funktionen zugleich die Anpassung an die bestehende Gesellschaft fördern sollen und zur Rechtfertigung der bestehenden sozialen Ordnung dienen. Es ist im Gegenteil denkbar und möglich, daß die stabilisierenden Funktionen gerade dazu dienen, Verhaltensstandards einzuüben, zu fördern und zu bestätigen, die in Opposition zur bestehenden sozialen Ordnung entwickelt werden, als eine Form der kritischen Absetzung vom Bestehenden zu begreifen sind und dessen Veränderung intendieren. Ein Beispiel dafür bietet die bürgerliche Literatur des 18.
»Wir Friderich, von Gottes Gnaden, König in Preusen, Marggraf zu Brandenburg, des Heil. Römischen Reichs Ertz-Cämmerer und Churfürst etc. etc. Thun kund und fügen hiemit zu wissen: Nachdem Wir höchst mißfällig wahrgenommen, daß verschiedene scandaleuse theils wider die Religion, theils wider die Sitten anlauffende Bücher und Schriften in Unsern Landen verfertiget, verleget und debitiret werden, daß Wir um diesem Unwesen, und denen dahero entstehenden üblen Folgen abzuhelffen, gnädigst gut gefunden, die ehmalige seit einiger Zeit in Abgang gekommene Bücher-Censur wiederum herzustellen, und zu dem Ende eine Commißion, in Unserer hiesigen Residentz zu etabliren, an welche alle Bücher und Schriften, die in Unsern sämmtlichen Landen verfertiget, und gedruckt werden, oder die Unsere Unterthanen ausserhalb Landes drucken lassen wollen, zuförderst zur Censur und Approbation franco eingesandt, und ohne deren Genehmhaltung nichts gedruckt, noch verleget werden soll.«.
Friedrich II
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Wild, R. (1982). Die kritische Funktion der Literatur. In: Literatur im Prozeß der Zivilisation. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03170-9_16
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03170-9_16
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