Zusammenfassung
Bewundert viel und viel gescholten— Iphigenie, so könnte man den Helenavers variieren. Denn kaum ein Drama unserer Literatur hat ebenso die Geltung der Klassizität erworben wie es als Zeugnis eines gebrechlichen, das Furchtbare aufschönenden Idealismus verdächtigt wurde, gescholten als Dokument einer Lebensanschauung, die vor den Abgründen des Daseins die Augen verschließt. Zudem ist keins zugleich von Klischees — gerade der Bewunderer — so zugedeckt worden wie Goethes Iphigenie auf Tauris. Und an diesem Prozeß ist der Dichter nicht ganz unbeteiligt. Hat er doch in aller Unschuld des Gewagten Stichworte möglichen Mißverstehens geliefert: mit seinem Wort an Schiller im Brief vom 19. Januar 1802, das Stück sei ganz verteufelt human, ebenso mit den fast totzitierten Versen, 1827 in das Exemplar des Schauspielers Krüger geschrieben, welche die reine Menschlichkeit, die alle menschlichen Gebrechen sühne, als die humane Summe, ja die Verkündigung dieses Dramas feiern. Gerade dies hat lange Riegen von Auslegern und Festrednern dazu ermächtigt, in dem Drama das Festspiel einer Humanitätsreligion zu preisen, welches die Frohbotschaft von der erlösenden Gewalt des Wahren, Guten und Schönen predigte. Daran ist freilich wenig falsch als der Brustton, die naive Ideologisierung, welche den Parolen der Bildung, der Kultur in einem Erziehungsprozeß der Menschheit höhere Weihen zudachte als der faktische Geschichtsverlauf ihnen zu verleihen die Kraft hatte.
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Nachweise und Anmerkungen
Vgl. Arthur Henkel: Entsagung. Eine Studie zu Goethes Altersroman, Tübingen 21964, bes. S. 133 ff.
Vgl. Adolf Beck: Der ›Geist der Reinheit‹ und die ›Idee des Reinen‹. In: Goethe-Zeitschrift VII und VIII, 1942. 1943.
Vgl. Emil Staiger: Goethe 1749–1786, Zürich und Freiburg/Br. 21957, S. 365.
Vgl. Gerhard Storz: Goethe-Vigilien, Stuttgart 1953, S. 9.
Vgl. Günther Müller: Das Parzenlied in Goethes Iphigenie. In: Publications of the English Goethe Society, NS XXII, 1953, S. 84–106. Auch in: Deutsche Lyrik. Interpretationen. Herausgegeben von Benno von Wiese, Düsseldorf 1956, S. 237–250.
Vgl. Sigurd Burckhardt: Die Stimme der Wahrheit und der Menschlichkeit. Goethes Iphigenie. In: Monatshefte, Madison 1956, XLVIII, S. 56 und 60.
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Henkel, A. (1982). Iphigenie auf Tauris. In: Goethe-Erfahrungen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03169-3_3
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