Zusammenfassung
Hervorstechendes, gegenüber der philanthropischen Mädchenliteratur ins Auge fallendes Merkmal der in Niemeyers Vermächtniß entworfenen Kommunikationssituation ist der Versuch des Vaters, nicht zu »moralisiren« (9), sondern das Autoritätsverhältnis zwischen sich und der Tochter zugunsten eines Verhältnisses gegenseitiger Liebe abzubauen. Er versteht sich als »erster«, »treuer« und »bester Freund« der Tochter (328, 43, 47), der ihr vor seinem Tod als »Vermächtniß« »jene Wahrheiten« aufschreiben möchte, die er ihr früher mitzuteilen pflegte, »wenn wir in traulichen Gesprächen recht innig vergnügt die ganze Welt auf einige Augenblicke vergaßen« (2). Fast ängstlich entschuldigt er sich für das Aufschreiben der Betrachtungen: Er habe das nicht getan, weil er Mißtrauen gegen ihre »Reinheit« hege oder befürchte, daß sie ihre gemeinsamen Gespräche bereits vergessen habe, sondern aus eher übertriebener väterlicher Sorge um ihr künftiges Wohlergehen (4). Auch aus seinem Wunsch, die Tochter möge durch das Buch an ihren toten Vater erinnert werden, spricht weniger die an das Gewissen appellierende Autoritätsperson als vielmehr die Stimme eines väterlichherzlichen Freundes. So erhofft er sich, daß in der Tochter dadurch »wehmütige Rückerinnerungen an vergangene glückliche Stunden«, die sie mit ihm verlebt hat, aufsteigen und ihr eine »Thräne« »entlokken« werden (331). Umgekehrt erinnert sich auch der Vater gemeinsamer Stunden, in denen er voller Sympathie an den Gefühlsäußerungen seiner Tochter Anteil nahm (43 f.); oder er drückt während des Schreibens seine emotionale Nähe zu seiner Tochter aus: Er spricht sie als »sanftes Mädchen« an (268), versichert ihr, daß er sie liebhabe (254), und bewundert, als er einmal am Bett der schlafenden Tochter schreibt, »ihre halbenthüllten Schönheiten« (47).
Die vollständigen Angaben lauten: [Niemeyer, Georg Friedrich:] Vermächtniß an Helene von ihrem Vater. Von dem Verfasser des Greises an den Jüngling. Mit einer Vorrede von Adolph Freyhern Knigge. Bremen 1794. — Die Vorrede von Knigge war in dem mir vorliegenden Exemplar nicht vorhanden. — Auf S. 1 ist folgender Titel angegeben: Licas Vermächtniß an seine Tochter Helene.
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Notizen
Georg Friedrich Niemeyer: Der Greis an den Jüngling. Mit einer Vorrede von Adolph Freyhern Knigge. Berlin 1793. S. 112 f., 116, 118, 120.
F. J. Niethammer: »Der Streit des Philanthropismus und Humanismus …« [1808]. S. 77.
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Grenz, D. (1981). Allgemeine Menschenbildung und Idealisierung schöner Weiblichkeit. G. F. Niemeyers »Vermächtniss an Helene von ihrem Vater« (1794). In: Mädchenliteratur. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03160-0_8
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03160-0_8
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00486-4
Online ISBN: 978-3-476-03160-0
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