Zusammenfassung
Die Entstehung der Mädchenliteratur im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts fällt in eine Zeit, die ein überaus reges Interesse an der Frage der weiblichen Bildung und der weiblichen Bestimmung sowie an der Stellung der Frau insgesamt zeigt. So werden, wie allgemein konstatiert, seit etwa 1770 nicht nur Bücher für Mädchen, sondern eine kaum noch zu übersehende Vielzahl von Schriften für und über die Frau publiziert. [1] Frauen nehmen sehr viel stärker als früher am geistigen und kulturellen Leben der Zeit teil, sei es als Leserinnen, sei es als Gesprächspartner in literarischen Salons oder als Schriftstellerinnen. Der Frau und der weiblichen Natur wird darüberhinaus eine vorher nicht gekannte Wertschätzung zuteil — man denke nur an die Idealisierung der schönen Weiblichkeit in der deutschen Klassik. Gleichzeitig ist die Einstellung der Zeit zur Frauenbildung jedoch merkwürdig zwiespältig. So wird gerade jetzt auffällig heftig gegen die weibliche Gelehrsamkeit polemisiert, und schriftstellernde Frauen werden nicht müde, sich gegen den Verdacht einer als unweiblich empfundenen Gelehrsamkeit oder gar Emanzipation zu verwahren. Auch wenn man nach dem Entstehungszusammenhang der Mädchenliteratur fragt, fallen Widersprüche auf. Schließlich ist es nicht selbstverständlich — wie es uns heute vielleicht erscheint —, daß die sich ebenfalls erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts konstituierende Kinder- und Jugendliteratur bereits seit ihren Anfängen eine geschlechtsspezifische Literatur für Mädchen kennt. So ließe sich aus dem lebhaften Interesse an einer verbesserten weiblichen Bildung und der größeren Wertschätzung, die die Frauen erfuhren, als Konsequenz ebenso die Möglichkeit vorstellen, daß eine spezifische Mädchenliteratur als überflüssig hätte erscheinen können — es sei denn, die entstehende Mädchenliteratur hätte es sich zum Ziel gesetzt, die bisher vernachlässigte Bildung der Mädchen auf das Niveau der Knaben zu heben, den Mädchen also durch eine eigene Literatur eine spezielle — man könnte sagen: kompensatorische — Förderung zukommen zu lassen.
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Notizen
Vgl. E. Blochmann: Das »Frauenzimmer« und die »Gelehrsamkeit«. Eine Studie über die Anfänge des Mädchenschulwesens in Deutschland. Heidelberg 1966. S. 13 und 126 ff.; K. Hausen: »Die Polarisierung der ›Geschlechtscharaktere‹ — Eine Spiegelung der Dissozation von Erwerbs- und Familienleben«. In: Hg. W. Conze: Sozialgeschichte der Neuzeit. Stuttgart 1976. S. 363–393; U. Nolte: Die Entwicklung der weiblichen Bildung von der Aufklärung bis zur deutschen Romantik. Mainz, Diss. phil. 1952. S. 84 ff.; P. Kluckhohn: Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts und in der deutschen Romantik. Halle 1922. S. 307 ff.; A. Angst: Die religions- und moralpädagogische Jugendschrift in der deutschen Schweiz von der Reformation bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Zürich, Diss. phil. 1947. S. 109; schließlich die im Literaturverzeichnis zu dieser Arbeit angeführten Titel von Primärliteratur und Quellentexten des 18. Jahrhunderts. — Titel werden nach ihrer ersten Erwähnung nur in Kurzform angeführt (Nennung des Autorennamens, des Erscheinungsjahrs und ggf. der Seitenzahl).
Vgl. W. Martens: »Nachwort«. In: Johann Christoph Gottsched: Der Biedermann. Hg. W. Martens. Stuttgart 1975. S. 16 f.
G. Brinker-Gabler (Hg.): Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 1978. S. 48 ff.
G. Dischner: Bettina von Arnim. Eine weibliche Sozialbiographie aus dem neunzehnten Jahrhundert. Berlin 1977. S. 31 f.
Vgl. B. Duden: »Das schöne Eigentum«. In: Kursbuch 47/1977, 125–140; E. Schöfthaler: »Troubadora und Meisterin«. In: Kursbuch 47/1977, 115–123; Bock, G./Duden, B.: »Arbeit aus Liebe — Liebe als Arbeit«. In: Frauen und Wissenschaft. Berlin 1977. S. 118–199.
Vgl. H. Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft. Frankfurt 1968; S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur. Frankfurt 1953. Wichtig in diesem Zusammenhang auch N. Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Bd. 1, 7. Aufl. Frankfurt/M. 1980; Bd. 2, 6. Aufl. Frankfurt/M. 1979.
Vgl. z.B. I. Kant: »Der Charakter des Geschlechts«. In: Anthropologie in pragmatischer Sicht. Leipzig 51912. S. 250 ff.
So z.B. C. Bücher: Die Frauenfrage im Mittelalter. Tübingen 1882.
I. Weber-Kellermann: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte. Frankfurt 31977. S. 73 f., 14 ff., 102 f.; J. Menschik: Gleichberechtigung oder Emanzipation? Frankfurt 1972. S. 27 f.
Martin Luther: Vom ehelichen Leben und andere Schriften über die Ehe. Hg. D. C. G. Lorenz. Stuttgart 1978. S. 25 f.
J. Hoffmann: Die »Hausväterliteratur« und die »Predigten über den christlichen Hausstand«. Weinheim 1959. S. 115 f. (zit.) und passim; G. Tornieporth: Studien zur Geschichte der Frauenbildung. Weinheim 1977. S. 17 ff., insbes. S. 19; beide vor allem in bezug auf die Hausväterliteratur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts.
R. Grimminger: »Aufklärung, Absolutismus und bürgerliche Individuen. Über den notwendigen Zusammenhang von Literatur, Gesellschaft und Staat in der Geschichte des 18. Jahrhunderts«. In: Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680–1789. Hg. R. Grimminger. München/Wien 1980. S. 15–99. S. 95.
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Grenz, D. (1981). Wandel der Familienstruktur und der Geschlechterrollen im ausgehenden 18. Jahrhundert. In: Mädchenliteratur. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03160-0_2
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