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Johann Nestroy (1801–1862)

  • Chapter
Biedermeierzeit
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Zusammenfassung

Nestroy ist kein Bürgerkönig gewesen. Er war auch nicht der Bürgerschreck und der Nihilist, zu dem ihn einige moderne Nestroyverehrer machen wollen, sondern eine merkwürdige Mischung von Hanswurst, Denker und Großbürger. Seine enge Zusammenarbeit mit dem Kapitalisten Carl, den man den Totengräber des Volkstheaters zu nennen pflegt, war kein Zufall. Nestroys Aufstieg zu Reichtum, nicht nur zu Wohlhabenheit, nach der Übernahme des Carlstheaters, gegen einen Pachtzins für Carls Erben, ist ein wichtiges Faktum. Er beklagte sich, um Goethes Worte zu gebrauchen, nicht nur über das Niederträchtige, sondern er wußte auch, daß es das Mächtige war. So spielte er nicht nur in den Spelunken um Geld, sondern auch um das große Geld, mit Hilfe des Theaters, das Carl das »gefährlichste industrielle Geschäft« genannt und daher seinen Erben verboten hatte. Nestroy wagte es und hatte Glück im Spiel. Ein anderes Spiel, das er heimlich, aber mit Passion, betrieb, war die von ihm so genannte Mädlerie. Sein leidenschaftlichstes Spiel jedoch war ohne Zweifel die Schauspielerei. In seiner besten Zeit, z. B. im Jahr 1844, das 170 Aufführungen von Nestroy-Stücken erlebte, stand er fast jeden zweiten Abend auf der Bühne [1]. Seine Gastspielreisen führten nicht wie bei Raimund zum Rückzug vom theatralischen Alltag. Er spielte, als er schon reich geworden war, unentwegt weiter. Und als er sich endlich mit fast sechzig Jahren nach Graz zurückgezogen hatte, um sich zu schonen, ließ er sich immer noch zu Gastspielen in Wien verführen. In diesen letzten Jahren (1861) schildert A. Silberstein in der »Österreichischen Zeitung« die noch immer ungebrochene Macht des grandiosen Spielers: »Er hat eine merkwürdige, unerreichte Gabe: durch eine einzige Mundfalte, ein einziges Augenzucken die ganze geistige, ironische Höhe neben der scheinbar tiefstdümmsten Rede anzudeuten… mit seinen agilen Händen und Beinen steht er plötzlich als Sieger über allen und allem auf der Bühne, es liegen, nur dem geistigen Auge sichtbar, Menschen, Dinge, Verhältnisse, kunterbunt durcheinandergeworfen, ihm zu Füßen — der Applaus raset ihn zum Schluß heraus, seine lange Gestalt knickt in zwei Hälften, er lächelt — selbst da weiß man oft nicht: dankt Nestroy wirklich oder ironisiert er das Herausrufen und das Kommen!« [2].

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Anmerkungen

  1. Franz H. Mautner, Nestroy, Heidelberg 1974, S. 270.

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Sengle, F. (1980). Johann Nestroy (1801–1862). In: Biedermeierzeit. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03127-3_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03127-3_4

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