Zusammenfassung
Im Versuch, »die ›neue Wirklichkeit‹ (die Wirklichkeit des Imperialismus, die Epoche der Weltkriege und der Weltrevolution) […] gedanklich wie künstlerisch zu bewältigen« [1], stieß die expressionistische Autorengeneration fraglos an eine Grenze der künstlerischen Profession überhaupt. Eine gravierende Legitimationskrise der schöpferischen Intelligenz spricht aus den einschlägigen Dokumenten, die den Übergang von der »ästhetischen« zur »politisch-revolutionären Avantgarde« markiert. [2]Diese Irritation war auch eine Konsequenz des historischen Entfremdungsprozesses zwischen Künstlerschaft und literarisch gebildeter Intelligenz (s. den Abschnitt »Kunst und Öffentlichkeit«), der sich neben der Spaltung zwischen »Elite-« und »Massenkultur« seit dem frühen 19. Jahrhundert abzeichnete. [3] Spielten literarische Autoren in der Emanzipation bürgerlicher Gesellschaften zuvor die Rolle geistiger Wegbereiter und ideologischer Exponenten, so sahen sie sich nun mit einem rasanten gesellschaftlichen Funktionsverlust und dem Geltungsverfall ästhetisch vermittelter Weltbilder konfrontiert. [4] Während die Doktrin des »L’art pour l’art« den Fortgang dieser sozialen Isolation der künstlerisch produktiven Intelligenz als beabsichtigte Selbstexilierung vortäuschte, vollzogen die Expressionisten eine bewußte »Wendung zur Öffentlichkeit«. [5] Der Weg zum »politischen Dichter« [6] und zum systemkritischen Schriftsteller war damit zweifach vorprogrammiert, denn nur der Raum der politischen Ideologie und das Engagement für gesellschaftlich nicht-emanzipierte Schichten versprachen die ersehnte öffentliche Wirkung und die Erfüllung einer historischen Mission, die das etablierte Bürgertum dem Dichter längst nicht mehr abverlangte. [7] So erkannte man im Kult des einsam Schaffenden, des Dichterfürsten und des gesellschaftsfernen Ästhetentums das anachronistische Ritual. [8] Seine Negation führte expressionistische Autoren folgerichtig zur Position des antiästhetischen Provokateurs, des experimentellen Avantgardisten, des kulturellen Revolteurs und schließlich zur Rolle des politischen Revolutionärs. Doch scheute man sich nicht, die weitgehend zu ideologischen Attrappen verkommenen Selbststilisierungen des Dichters zum Priester, Seher, Propheten, Schöpfer und Genie wiederzubeleben. [9] Zu Recht hat schon Walter H. Sokel die zwischen Überlegenheitsgesten und Gefühlen der »Isolierung und Wurzellosigkeit« schwankende Reaktionsform expressionistischer Autoren dem »introvertierten, artistisch-intellektuellen Typ« zugeordnet, der sich der »philiströsen und materialistischen Gesellschaft« seiner Zeit verweigert.[10] Der stark subjektive Zug und die autobiographische Selbstreflexivität, die der expressionistischen Literatur eigen sind, nährten vielfach den Zweifel an der ›allgemein-menschlichen‹ Bedeutung der Kunstbewegung überhaupt: »Sie, weltfremder als alle Dichter vor ihnen, warfen ihr eigenes Ich in alle ihre Gestalten, waren unfähig etwas zu erfassen, was nicht sie selbst waren«. [11]
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Anz, T., Stark, M. (1982). Die Legitimationskrise der Schriftsteller. In: Anz, T., Stark, M. (eds) Expressionismus. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03107-5_10
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