Zusammenfassung
Dieser von 1824 datierende Tagesplan der Fanny Lewald, die damals noch den jüdischen Familiennamen Marcus trug, ist ein beredtes Dokument für die geregelte Monotonie der heranwachsenden Mädchen aus bürgerlichem Mittelstand. 1811 als erstes Kind eines mäßig begüterten Königsberger Kaufmanns geboren, hatte sie sieben Jahre lang einen kontinuierlichen Schulunterricht genossen, der seine Abrundung in der standesüblichen höheren Mädchenschule erfuhr. Doch als sie zwischen ihrem dreizehnten und vierzehnten Lebensjahr die Schule verlassen hatte und plötzlich ganztägig zu Hause war, »wußte niemand so recht«, was Fanny in diesem neuen Lebensabschnitt »eigentlich tun sollte«. [1] Und um das »planlose in den Stuben Umhergehen« zu unterbinden, hatte der Vater den obigen Stundenzettel entworfen. »Fünf Stunden an jedem Tag saß ich in der Wohnstube, an einem bestimmten Platz am Fenster«, kommentiert die Autorin später in ihrer Lebensgeschichte diese ›Hochzeit der Handarbeiten‹, »und erlernte Strümpfe zu stopfen, Wäsche auszubessern, und beim Schneidern und anderen Arbeiten Hand anzulegen. Zwei Stunden brachte ich am Klavier zu, eine Stunde langweilte ich mich mit dem Inhalt meiner alten Schulbücher, den ich damals von A bis Z auswendig konnte, eine andere Stunde schrieb ich Gedichte zur Übung meiner Handschrift ab. Dazwischen ging ich Gänge aus der Küche in die Speisekammer, und aus der Wohnstube in die Kinderstube … und hatte am Abend das niederschlagende Gefühl, den Tag über nichts Rechtes getan zu haben, und einen brennenden Neid auf meine Brüder, welche ruhig in ihr Gymnasium gingen… und mit der Sehnsucht nach der Schule regte sich in mir das Verlangen, womöglich Lehrerin zu werden, und so zu einem Lebensberuf zu kommen, bei dem mich nicht immer der Gedanke plagte, daß ich meine Zeit unnütz hinbringen müsse. Diese Ideen gegen meine Eltern auszusprechen, hätte ich aber nicht gewagt, denn sie würden darin eine Bestätigung für die alte Ansicht meiner Mutter gefunden haben, daß mir der rechte weibliche Sinn für die Häuslichkeit und für die Familie fehle, daß ich viel mehr Verstand als Herz hätte, und daß meine Neigung für geistige Beschäftigug ein Unglück für mich wie für sie sei.« [2]
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Rights and permissions
Copyright information
© 1977 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Möhrmann, R. (1977). Die Emanzipation zur Arbeit. In: Die andere Frau. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03073-3_4
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03073-3_4
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00353-9
Online ISBN: 978-3-476-03073-3
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)