Zusammenfassung
[1161] […] Es ist unbestreitbar richtig, daß der Roman, bei der Scheu der Zeit, Wahrheiten unumwunden auszusprechen und zu hören, der geeignetste Weg ist, sie den Leuten beizubringen. Dazu kommt, daß er bei den neuern, sich mehr im individuellen Leben bewegenden und in der Poesie zu freiern und regellosern Formen hinneigenden Völkern die beliebteste Dichtungsart ist; so hat man mit Recht seine Form für die Satire erwählt. Aber wenn die Arznei einmal eines Involucrums oder süßen Zusatzes bedarf, ist es nöthig, diesen zu vergiften, um ihn recht pikant zu machen? So verschieden die Tendenzen sein mögen, hier ist der Punkt, wo Boz mit den schlechtesten, schmuzigsten und unnatürlichsten Producten der Franzosen sich berührt und wir anzunehmen berechtigt sind, daß seine Dichtungen, wenn Bücher überhaupt auf die praktische Moral der Menschen Einfluß haben, auch nachtheilige Wirkungen hervorbringen werden. Wie kann es auch anders sein? Das Schöne, Gute und Wahre sind eine aus ein und derselben Wurzel entsprungene Trias und unzertrennlich voneinander; sie sind identisch an sich, nur verschieden durch die verschiedenen Beziehungen, die wir ihnen geben. Wer dies nicht anerkennt, der wird nie etwas Schönes, sondern immer nur etwas Groteskes, Bizarres u. dgl. liefern. Wo aber ist das Muster für das Schöne? Die Natur, wie sie sich außer dir in ihrer äußern Erscheinung, wie sie sich in dir in dem natürlich ästhetischen und moralischen Gefühle deiner Brust offenbart. Wer sich darnach richtet, der hat Moses und die Propheten in der Kunst.
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Nachweise und Anmerkungen
Degérando: Der Publizist und Philosoph Joseph-Marie, baron de Gérando (1772–1842) veröffentlichte 1839 das Werk »De la bienfaisance publique«.
Dr. Julius: Der Gefängnisreformer Dr. med. Nicolaus Heinrich Julius (1783–1862) studierte 1834–36 das Gefängniswesen der USA und veröffentlichte darüber 1839 das Werk »Nordamerika’s sittliche Zustände …«.
Phrynichus: Der athenische Tragiker schrieb um 492 »Mileut halosis« (»Die Einnahme von Milet«); die Bestrafung nach Herodots Bericht.
Goethe’sehen Spruch: Vgl. Faust I, Vorspiel auf dem Theater; das »Zitat« montiert V. 167, V. 169 (1. Teil) und V. 165 (2. Teil) zusammen.
»Virginibus puerisque canto«: lat., für Mädchen und Knaben singe ich; nach Horaz, Oden III, 1, 4
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Steinecke, H. (1976). Aus: Boz und die gegenwärtige Gestaltung des Volksromans 1839. In: Romantheorie und Romankritik in Deutschland. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03055-9_34
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03055-9_34
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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