Zusammenfassung
Hr. Stahr [1] spricht nun von den großen historischen Bewegungen, welche zwischen dem Abschluß unserer letzten großen Epoche der Poesie, zwischen Goethe und Schiller, und zwischen der Gegenwart liegen: von den Donnern der Juli-Revolution, von dem Kampf der Hellenen gegen ihre Kerkermeister, dem Trauerspiel in Polen, dem Aufstande der Belgier, den Bewegungen des deutschen Constitutionalismus, der blutrothen Sündfluth des spanischen Bürgerkriegs, den Pariser Erneuten, dem ungeheuren Gegendruck der Presse gegen ihre Beschränkung. Das sind lauter Bewegungen, welche einen Blinden überzeugen müssen, daß wir auf unterhöhltem Boden stehen, es sind Bewegungen, aus denen hervorgeht, daß unsere Poesie nimmermehr in den vier Wänden des Familienlebens sich einsperren, in Wäldern und Wiesen Spazierengehen, auf die Beschäftigung mit den subjectiven Bildungskämpfen der Persönlichkeit sich einschränken kann. Diese Zeit ist vorbei, das ist sicher. Aber ist darum die Zeit schon da, wo für die Poesie auch nur einige Hoffnung vorhanden ist, diese großen neuen Stoffe mit freiem Auge zu erfassen, mit freier Hand zu gestalten? Ich sage: Nein! Nein! und zehenmal: Nein! Gar keine Rede kann davon seyn, gar keine Möglichkeit ist da. Deßwegen nicht, weil das lauter unreife Durchbrüche sind, die noch kein Ganzes bilden; deßwegen nicht, weil wir alle Hände vollauf zu thun haben, dieses Ganze praktisch herbeizuführen, und kein Mensch Zeit, Ruhe, Unbefangenheit hat, um das halbfertige, unreife Werk zu besingen; deßwegen nicht, weil einer solchen Zeit alle zum Dichten wesentliche Naivität mangelt; deßwegen nicht, weil alle Formen der Wirklichkeit bis hinaus auf unsere Tracht jeder Poesie widerstreben. Hr. Stahr spricht nun allerdings von den Umwandlungen, welche diese veränderte Weltlage in der Poesie bereits hervorgebracht hat; wie die Novellistik den Wanderstab ergriff und auf Reisen gieng [2], die Lyrik Wiesen und Hain des mondbeglänzten Dörfchens verließ, statt Gelbveigelein und Rosmarin die Thaten der Männer in Hellas Felsschluchten und Meeresbuchten besang, die Schläfe der sterbenden Fechter auf Polens Schneegefilden kränzte [3].
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Bucher, M., Hahl, W., Jäger, G., Wittmann, R. (1975). Literatur und Revolution: Die Abrechnung mit der Literatur der Restaurationszeit. In: Bucher, M., Hahl, W., Jäger, G., Wittmann, R. (eds) Realismus und Gründerzeit. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03017-7_8
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03017-7_8
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00267-9
Online ISBN: 978-3-476-03017-7
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