Zusammenfassung
In dem Dichter, der es wirklich ist, erhebt sich das poetische Gewissen gegen die alleinige Befriedigung in der Thätigkeit des Romanschriftstellers. Denn, was den Roman zu einer bequemen Dichtungsform macht, macht ihn auch zu einer Gattung, von der es höchst zweifelhaft bleibt, ob ihr, abgesehen von seltenen Ausnahmen, eine Stelle in der reinen Poesie gebührt. An Einwänden gegen die rein poetische Befähigung des Romans hat es seit lange nicht gefehlt. Aber die Gründe, welche der echt künstlerischen Entwicklung dieser Form im Wege stehen, ist man sich noch nicht mit voller Schärfe bewußt. Es scheint mir auf zwei Punkte vor allen anderen anzukommen. Es ist einmal sehr schwer, dem Roman die organische Einheit des echten Kunstwerkes zu geben. Aus der unendlichen Complication des modernen Lebens greift der Roman eine Reihe von individuellen Verhältnissen heraus. Daß diese Verhältnisse sich einheitlich entfalten, ist ein Zufall. Wir legen das Gelesene mit der Empfindung aus der Hand, daß keine innere Notwendigkeit den Verlauf, wie wir ihn gesehen haben, bewirkt hat. Das ist im echten Epos anders. Denn da sehen wir eine ganze Welt in Bewegung und ein Gesetz der Geschichte sich realisiren, ohne daß es auf die einzelnen Abenteuer ankommt. Im echten Heldenepos sehen wir ferner jedes Mal eine ungewöhnliche Kraft aufgerufen, gegen deren großes Walten unwahrscheinliche Einzelheiten verschwinden. So kann das Epos viel unwahrscheinlicher sein, als der Roman, und uns dennoch mit einer ganz anderen Ueberzeugung von der Wahrheit des Vernommenen entlassen. Das Epos giebt uns substanzielle Nahrung, bei dem Roman meinen wir, mit Phantasiegebilden gespeist zu sein, und empfinden die Hingabe an dieselben als eine unsolide Beschäftigung, unter Umständen als eine Art Exceß. Bei dem Idyll und derjenigen Gattung des Heldenepos, welche es überwiegend mit den Schicksalen einzelner Personen zu thun hat, läßt sich die organische Einheit dennoch wahren.
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Anmerkungen
Heinrich Laube: Struensee, Leipzig 1847.
August Wilhelm Iffland (1759–1814): Elise von Valberg, Leipzig 1792.
Albert Emil Brachvogel (1824–1878): Narciß, Jena 1857; Der Sohn des Wucherers, Berlin 1857; Adelbert vom Babanberge, Jena 1858.
August Wilhelm Schlegel: Ion, Hamburg 1803. Antikisierendes Drama nach der Vorlage des Euripides.
Karl Theodor Gravenhorst (1810–1896): Griechisches Theater. Für deutsche Leser bearbeitet, 2 Bde., Stuttgart 1856.
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Bucher, M., Hahl, W., Jäger, G., Wittmann, R. (1975). Der Klassizimus im Drama. In: Bucher, M., Hahl, W., Jäger, G., Wittmann, R. (eds) Realismus und Gründerzeit. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03017-7_42
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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