Zusammenfassung
[…] Es hat sich aber im Schooße des Protestantismus die neuere kritische Theologie ausgebildet. Diese erscheint auf den ersten Blick als ein völlig negatives Verfahren; in Wahrheit aber liegt ihr eine Metaphysik zu Grunde, welche eine wahrhaft bejahende und positive Weltanschauung enthält, eine Weltanschauung, welche nicht etwa von der Philosophie geschaffen ist, sondern, das Product einer freien weltlich sittlichen Bildung, in ihr nur den wissenschaftlichen Ausdruck gefunden hat. Diese Weltansicht nun, welche überzeugt ist, daß das ganze Leben im Lichte der Unendlichkeit betrachtet und im Geiste der Unendlichkeit behandelt werden könne und müsse, auch ohne daß das Unendliche in den positiven Formen der kirchlichen Vorstellungsweise aufgefaßt wird, muß der Kunst so willkommen seyn, wie die helle Sonne, welche sich zwar nicht mit romantischen Licht-Effecten in Wolkengebilden bricht, aber frei und klar die Erde und jedes ihrer Wesen beleuchtet. Ob diese Weltansicht auf rein sittlichen Grundlagen mit der ihr entsprechenden Kunst dann noch Religion zu nennen sey, darüber läßt sich streiten, aber daß eine neue Kunstwelt aus dieser Bildungsform aufgegangen sey und noch aufgehen werde, ist außer Zweifel. Die Aesthetik nun als Wissenschaft kann sich nicht nur, wenn sie die Kunstgeschichte begreifen will, dieser geschichtlichen Betrachtung des von seinen ursprünglichen historischen Grundlagen sich ablösenden Protestantismus nicht entziehen, sondern sie bedarf, wenn sie den Begriff des Schönen soll erklären können, auch derjenigen Metaphysik, worin jene Weltansicht ihren philosophischen Ausdruck gefunden hat und dadurch ist sie mitten in die Kämpfe der jetzigen Theologie hineingestellt. In seiner ganzen Schärfe aber entzündet sich dieser Kampf erst in der Philosophie.
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Anmerkungen
Selbstzitat. Carriere: Religiöse Reden und Betrachtungen für das deutsche Volk, 2. Aufl., Leipzig 1856, S. 288–90.
Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthums, hg. v. Heinrich Meyer u. Johann Schulze, Bd. 2, Dresden 1811 (= Werke, Bd. 4), S. 54: »Aus der Einheit folget eine andere Eigenschaft der hohen Schönheit, die Unbezeichnung derselben, das ist, deren Formen weder durch Punkte, noch durch Linien, beschrieben werden, als die allein die Schönheit bilden; folglich eine Gestalt, die weder dieser oder jener bestimmten Person eigen sey, noch irgend einen Zustand des Gemüths oder eine Empfindung der Leidenschaft ausdrücke, als welche fremde Züge in die Schönheit mischen, und die Einheit unterbrechen. Nach diesem Begriff soll die Schönheit seyn wie das vollkommenste Wasser aus dem Schooße der Quelle geschöpfet, welches, je weniger Geschmack es hat, desto gesunder geachtet wird, weil es von allen fremden Theilen geläutert ist«.
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Bucher, M., Hahl, W., Jäger, G., Wittmann, R. (1975). Der Pantheismus. In: Bucher, M., Hahl, W., Jäger, G., Wittmann, R. (eds) Realismus und Gründerzeit. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03017-7_11
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00267-9
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