Zusammenfassung
Als Hebel 1810 die Lesestücke des Badischen Landkalenders, genannt »Der rheinländische Hausfreund« für eine Sammelausgabe zusammenstellte, die unter dem Titel Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes 1811 bei Cotta in Tübingen verlegt wurde [1], bemühte er sich, die Anordnung der »eingebrachten Erzählungen und Anekdoten«, wie er sie in der »Vorrede« bezeichnet, so zu treffen, daß sie ihre Herkunft aus dem Kalender nicht verleugneten, sondern bestätigten und wiederholten. Wenn Hebel auch manches umgestellt, ausgelassen oder manches verändert hat, so ist doch das Bild des Kalenders im Schatzkästlein nicht verwischt. Anstatt die jährlich in Fortsetzungen erschienenen Betrachtungen über das Weltgebäude zu einem Komplex zusammenzufügen und hintereinander abzudrucken, verstreute er sie über das ganze Buch und ließ ihnen so den Charakter von Fortsetzungen, wie sie ihn im Kalender bereits hatten. Auch unterließ es Hebel, wie es hätte naheliegen können, Unterhaltendes von Praktisch-»Lehrhaftem«, »Schöne Literatur« von bloß für den täglichen Gebrauch Bestimmten zu trennen oder letzteres gar ganz fortzulassen. Vielmehr wechseln im Schatzkästlein Dichtung, Belehrung, Ratschlag, Rätsel und die »schönsten Geschichten« [2] miteinander ab, so daß das Buch nicht nur ein vielfältiges Aussehen erhält, sondern auch die kalendarische Herkunft sogar der »schönsten« Geschichten Hebels bewahrt. Das Schatzkästlein das seinerseits vorgibt, lediglich die Schmuckstücke Hebelscher Kleinkunst gesammelt zu haben, verschmäht es keineswegs, die Allgemeine Betrachtung über das Weltgebäude eine Fortführung der Practica, Rechenexempel, Naturbelehrungen und andere Lehren, deren Nützlichkeit und Wert manch gebildeter Leser bezweifeln mag, auch wenn er es nicht besser weiß, ein Lied, das Sommerlied auch nicht gerade eine Perle, eine Zusammenstellung, »Was in einer großen Stadt draufgeht« etc. aufzunehmen und gleichberechtigt neben die Geschichten, seien es nun Anekdoten, Schwänke, Exempla oder was sonst zu stellen; kurz, das Ineinander-Verwoben-Sein der verschiedensten literarischen Genera ist für Hebels Schatzkästlein charakteristisch und kaum zu übersehen.
Der Chronist, welcher die Ereignisse hererzählt, ohne große und kleine zu unterscheiden, trägt damit der Wahrheit Rechnung, daß nichts, was sich jemals ereignet hat, für die Geschichte verloren zu geben ist.
Walter Benjamin
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Knopf, J. (1973). Geschichte als Geschichten. In: Geschichten zur Geschichte. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03016-0_3
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