Zusammenfassung
Die Herkunft des Wortes Demagogie aus dem antiken Stadtstaat bezeichnet schon die formalen Möglichkeitsbedingungen dieser besonderen Rede- und Schreibweise. [1] Wo das Volk — d. h. hier: die Minderheit der mit den Bürgerrechten ausgestatteten Einwohner — nicht mehr Objekt der Herrschenden war, sondern selbst die Politik und die Besetzung der politischen Ämter bestimmte, verfügte derjenige über Einfluß und Macht, der als Redner überzeugen konnte. Diese funktionale Abhängigkeit von Massenbeeinflussung und Demokratie ist ein integrierendes Moment in der Geschichte der Propaganda. In der mittelalterlichen Geschichte Europas bekommt dementsprechend die Überzeugungskraft der öffentliche Rede erst mit dem Auftreten konkurrierender Weltanschauungen in gesellschaftlich relevantem Maßstab reale Bedeutung bei der Stützung und Schwächung der Herrschaft: Die Ausbildung der Volkspredigt ist wie die Gründung der Bettelorden eine Antwort der Kirche auf die ausgedehnten Sektenbewegungen des 13. Jahrhunderts. Mit der modellhaften Antizipation des liberalen Prinzips ungehinderten Meinungsaustausches und freier Konkurrenz der Weltanschauungen in den ersten Jahren der Reformation wird die Frage nach der Legitimität und der Definition der grundlegenden Symbolstrukturen (z. B. des Evangeliums) und Kategorien (z. B. des Freiheitsbegriffes) erstmals zu einem mitbestimmtenden Faktor im historischen Prozeß. Der mit Luthers öffentlichem Auftreten entfesselte Streit um die Grundlagen der christlichen Religion, der als Auslegungsstreit begann, ist das Paradigma für eine spezifische Form des Klassenkampfes, die in der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielt.
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Schutte, J. (1973). »Die narren sein vnß niedert gleich!«: Zur Technik der Entlarvung. In: »Schympff red«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-03011-5_6
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-03011-5_6
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