Zusammenfassung
Im Untertitel des Komet gab Jean Paul seinem Werk die Bezeichnung »Eine komische Geschichte« (563) — also eine Art Gattungsbezeichnung. Das allein wäre so auffällig nicht, wird doch darin zum einen genau die Tatsache festgehalten, die nicht übersehen werden kann. Seit der Unsichtbaren Loge war der Humor das geheime Zentrum, das Movens von Jean Pauls dichterischem Schaffen insgesamt gewesen; und auch in der Vorschule der Ästhetik, die der Praxis die theoretische Fundierung nachlieferte, steht dieser Begriff im Mittelpunkt. Ganz verloren geht die humoristische Haltung auch in den Spätwerken nicht [1], doch büßt sie jegliche verklärende Funktion ein. Der Humor war — bis zum Spätwerk — das entscheidende Mittel gewesen zum Ausgleich der Gegensätze, zur Harmonisierung der Kluft, die zwischen den realen Gegebenheiten und den Möglichkeiten der Einbildungskraft klaffte [2]. Weil ein solcher Ausgleich im Komet nicht mehr stattfindet, mußte auch der Humor seine grundlegende Bedeutung einbüßen. Phantasie und Wirklichkeit stehen unversöhnt nebeneinander; eins zerstört das andere, schließt es geradezu aus. Im gesamten Spätwerk, insbesondere aber im Komet, wird der Humor darum konsequenterweise zurückgedrängt zugunsten einer derberen, realistisch grundierten Komik, die Wirklichkeit wie Phantasie gleichermaßen bloßstellt. Idealistische Züge gehen ihr gänzlich ab. Diese Tendenz erstreckt sich auch auf die Umarbeitung älterer Werke, wie es vor allem die des Siebenkäs erweist, die Jean Paul für die 1818 erfolgte 2. Auflage des Buches vornahm [3]. Das Adjektiv »komisch«, das im Untertitel zum Komet auftaucht — eine vergleichbare Klassifizierung hat Jean Paul keinem anderen Werktitel beigefügt -, entspricht genau dem aufgezeigten Sachverhalt.
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Anmerkungen
Renate Grötzebach (Humor und Satire bei Jean Paul) gelangt dagegen zu der Auffassung, auch der Komet noch sei ein »Roman humoristischer Konzeption« (S. 220).
Vgl. hierzu Georgina Baum, Humor und Satire in der bürgerlichen Ästhetik. Zur Kritik ihres apologetischen Charakters. Germanische Studien. Berlin 1959, passim.
Die Erstausgabe des Siebenkäs ist seit ihrem Erscheinen nicht mehr nachgedruckt worden. Alle späteren Ausgaben (so auch SW 1, V) geben den Text der 2. Auflage wieder. Ein Lesartenband zu diesem Band der Hist.-Krit. Ausgabe ist bislang nicht erschienen. In Band II der Hanser-Ausgabe, S. 1157 f, sind wenigstens die wichtigsten Neu-Einschübe im Text kenntlich gemacht. Ein Neudruck der Erstausgabe des Siebenkäs gehört so zu den dringendsten Desideraten der Jean-Paul-Forschung. In einem der Zusätze spricht Jean Paul von der Kluft, die »zwischen dem Romanschreiber, der über das Verdrüßliche wegsetzen und alles sich und dem Helden und den Lesern verzuckern kann, und zwischen dem bloßen Geschichtschreiber wie [ihm], der alles durchaus rein historisch, unbekümmert um Verzuckern und Versalzen, auftragen muß, immer bleiben wird.« Er wolle es jetzt nicht mehr machen wie in seinen früheren Jahren, wo er »lieber bezauberte als belehrte und mehr schön malen wollte als treu zeichnen« (II, 475).
Zwar führen die Biographischen Belustigungen den Untertitel »eine Gespenstergeschichte«, doch ist ›Geschichte‹ hier eindeutig im Sinne von Erzählung zu verstehen.
Vgl. hierzu Norbert Miller, Der empfindsame Erzähler. Untersuchungen an Romananfängen des 18. Jahrhunderts, München 1968, S. 217f. Miller liefert ausgiebiges Material zu diesem Faktum und zeigt gleichzeitig, wie in Deutschland Fielding als Vorbild abgelöst wurde, Sterne an seine Stelle trat und damit das so bezeichnete Verwildern einsetzte.
Wenn Bernhard Böschenstein schreibt: »Das beständige Pochen auf die historische Echtheit seiner Dokumente verrät e contrario die philosophisch begründete Verachtung der historischen Gegebenheiten« (Jean Pauls Romankonzeption, S. 118), so scheint mir solch verallgemeinernder Schluß zu weit zu gehen.
Vgl. Peter Michelsen, Laurence Sterne, passim.
Zur Bestimmung der Jean Paul’ schen Romanform vgl. Bernhard Böschenstein, Jean Pauls Romankonzeption; sowie Wolfdietrich Rasch, Die Poetik Jean Pauls, in: Die deutsche Romantik. Poetik, Formen, Motive. Hg. v. Hans Steffen. Göttingen 1967 (Kleine Vandenhoeck-Reihe Bd. 250 S), S. 98 ff. — Ansätze dazu finden sich auch in dem schon erwähnten Buch von Norbert Miller, Der empfindsame Erzähler, S. 303 ff.
SW 2, IV, 364. Vgl. dazu auch die folgende Stelle aus Briefe und bevorstehender Lebenslauf, wo Jean Paul es bedauert, »daß das hier ein Brief ist und kein Roman, wo ich malte und löge nach Gefallen« (IV 1013).
»Ich erinnere mich, was wir herausbrachten, wenn ich und andere auf Hafenreffers offizielle Berichte über Sachen von Belang vorher die Hände deckten und nun mit bloßer Phantasie entwickeln wollten, wie es möchte gegangen sein — es war nicht brauchbar« (III 282) — heißt es im Titan. Das ist zwar eine humoristische Finte, zugleich aber Teil des gegenseitigen sich in Handlung Setzens von Autor und Fiktion. Auch die Berichte und Dokumente sind Fiktion, sogar Fiktion der Fiktion. Doch besagt dies nichts darüber, ob und inwieweit sich in den Romanen Jean Pauls historische Wirklichkeit vermittelt wiederfindet oder nicht. (Vgl. Anmerkung 6).
Vgl. dazu S. 39 ff.
1797/98 waren die wichtigsten Frühschriften Friedrich Schlegels erschienen, die Athenäums-Fragmente, seine Rezension von Goethes Wilhelm Meister sowie seine Abhandlung Über das Studium der griechischen Poesie. Der erste Band des Titan erschien im Frühjahr 1801.
Die Poesie müsse idealisieren, »die Teile müssen wirklich, aber das Ganze idealisch sein« (IV 202) — schreibt Jean Paul selbst.
Siehe Eduard Berends Einleitung zum Titan (SW 1, VIII, S. XXXVI f).
Doch schon im Titan wird der Dichter »Geschichtsforscher« genannte (III 66). Und selbst Sterne spricht das eine und andere Mal von sich als einem »historian« (so z. B. im Tristram Shandy 3. Buch, Kapitel XXIII).
»Dichtungen sind nicht Wahrheit, wie wir sie von der Geschichte und dem Verkehr mit Zeitgenossen fordern, sie wären nicht das, was wir suchen, was uns sucht, wenn sie der Erde in Wirklichkeit ganz gehören könnten, denn sie alle führen die irdisch entfremdete Welt zu ewiger Gemeinschaft zurück. Nennen wir die heiligen Dichter auch Seher und ist das Dichten ein Sehen höherer Art zu nennen, so läßt sich die Geschichte mit der Kristallkugel im Auge zusammenstellen, die nicht selbst sieht, aber dem Auge notwendig ist, um die Lichtwirkung zu sammeln und zu vereinen; ihr Wesen ist Klarheit, Reinheit und Farbenlosigkeit. Wer diese in der Geschichte verletzt, der verdirbt auch die Dichtung, die aus ihr hervorgehen soll, wer die Dichtung zur Wahrheit läutert, schafft auch der Dichtung einen sichern Verkehr mit der Welt« (Achim von Arnim, Sämtliche Romane und Erzählungen. Hg. v. Walther Migge. Bd. I, München 1962, S. 519 f).
Georg Lukács, Der historische Roman. Berlin 1955, S. 11.
Vgl. hierzu auch Friedrich Sengle, Der Romanbegriff in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Deutsche Romantheorien, a. a. O., S. 131: »Die Vorstellung vom Roman als einer gehaltvollen Wirklichkeitsdarstellung setzt sich in breiter Front wieder durch — wieder, denn schon die Aufklärung hatte diese Auffassung […] verfochten. Titel wie ›History of Tom Jones‹ oder ›Geschichte Agathons‹ besagten ja programmatisch, daß im Roman der Aufklärung nichts Wunderbares und Märchenhaftes, sondern die wirkliche oder doch mögliche Geschichte eines menschlichen Lebens, einer menschlichen Seele erzählt werden soll.«
Die entsprechenden Abschnitte zum Spätstil in Paul Kobielskis Buch »Jean Pauls Spätstil« sind nur als Stoffsammlung brauchbar. Ansätze zu einer Stilbestimmung des frühen, empfindsamen Jean Paul finden sich jetzt bei Norbert Miller, Der empfindsame Erzähler, S. 319 ff. Zu nennen wäre einzig: Horst Scheffner, Sprache und Rhythmus bei Jean Paul. Phil. Diss. Tübingen 1961. — Vgl. dazu jetzt auch vom Verfasser: Jean Paul (Sammlung Metzler 91), Stuttgart 1970, S. 99 ff.
Wolfdietrich Rasch, Die Erzählweise Jean Pauls. Metaphernspiele und dissonante Strukturen. München 1961.
Max Kommerell, Jean Paul, S. 30 ff bzw. 136 ff.
Ebda, S. 30.
SW 2, IV, 365.
SW 3, III, 177.
Der Anhang der ernsten Ausschweife für Leserinnen (663 ff) sowie die Zwanzig Enklaven (1007 ff), von denen allerdings nur drei geschrieben worden sind.
Gustav Jäger, Jean Pauls Poetischer Generalbaß, S. 72.
Vgl. dazu auch Wolfgang Harich, Jean Pauls Kritik des philosophischen Idealismus, S. 87 (über Ludwig Feuerbach via Rudolf Haym wurde dieser Satz Jean Pauls in der Haym’schen Umschreibung von Lenin exzerpiert!).
Zitiert nach F. J. Schneider, Jean Pauls Altersdichtung, S. 155 f.
Einzelheiten dazu wurden in Kapitel III bereits ausgeführt; vgl. S. 39 ff.
Vgl. hierzu Beda Allemann, Artikel ›Ironie‹, Fischer Lexikon der Literatur Bd. II/1, S. 305 ff.
Die Parodie »kann als die innerliterarisch-stilistische Ausprägung der Ironie angesprochen werden« (Ebda, S. 309).
Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung. Hermaea NF 6. Tübingen 1960, S. 148: »Die von Jean Paul beschriebene Ironie [Vorschule] meint Verstellung, indirekte Aussage, eine Maske, die sich aber nicht als Maske zu erkennen gibt, sondern den ›Ernst des Scheins‹ aufrecht erhält […] jene Ironie, die Schlegel mit seinem Begriff gerade nicht meinte.« Zur Romantischen Ironie vgl. auch den Aufsatz von Peter Szondi, Friedrich Schlegel und die romantische Ironie. Mit einer Beilage über Tiecks Komödien. In: P. S., Satz und Gegensatz. Sechs Essays. Frankfurt 1964, S. 5 ff.
Beda Allemann, Artikel ›Ironie‹, a. a. O., S. 307: »Ironie in ihrer sublimsten literarischen Form wird zu einem gerade noch wahrnehmbaren Spiel des sich unauffällig vom Gesagten distanzierenden Autors. Diese Distanzierung schließt eine innige Beziehung zum Gegenstand nicht aus. Ironie steigert sich gleichzeitig zur Selbstironie.«
Vgl. hierzu auch die Ausführungen des Verfassers in: Jean Paul, a. a. O., S. 76 f.
Schillers Mißbehagen an der Darstellungsweise Jean Pauls etwa gehört in diese Kategorie unbeabsichtigten Verständnisses. Er habe, schreibt er am 28. 6. 1796 an Goethe, Jean Paul ganz so gefunden, wie er ihn sich vorgestellt habe: »fremd wie einer der aus dem Mond gefallen ist, voll guten Willens und herzlich geneigt, die Dinge außer sich zu sehen, nur nicht mit dem Organ, womit man sieht.« Anders der späte Goethe; seine Darstellung der Eigenart Jean Pauls (in den Noten und Abhandlungen zum besseren Verständnis des West-Östlichen Divans) ist ein Zeugnis, das solcher Zusammenhänge sich bewußt ist und sie auch bewußt macht.
Heinrich Heine, Werke und Briefe, a. a. O., Band V, S. 128.
Manfred Windfuhr, Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker. Stilhaltungen in der Deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts. Germanistische Abhandlungen 15. Stuttgart 1966, S. 5 5: »Die Genetivmetapher erlebt nicht erst bei Jean Paul, Nestroy, Heine und in der modernen Dichtung Blütezeiten, sondern schon im Barock.«
Vgl. ebda S. 107.
Vgl. ebda S. 115. Vgl dazu auch Bernhard Böschenstein, Jean Pauls Romankonzeption, S. 124.
Darauf hat besonders Robert Minder hingewiesen: »Bis in die Wendungen seines Stils und in den Zwangsmechanismus seiner Metaphern hinein tritt die Verwandtschaft mit psychopathischen Typen und ihren gesetzmäßigen Reaktionen zu Tage« (Jean Paul in Frankreich. In: R. M., Dichter in der Gesellschaft. Erfahrungen mit deutscher und französischer Literatur. Frankfurt 1966, S. 104). — Vgl. ebda den Aufsatz »Jean Paul oder die Verlassenheit des Genius«, S. 53 bzw. S. 59 f; sowie, ebenfalls vom selben Verfasser, »Le problème de l’éxistence chez Jean Paul«, S. 74 ff.
Jost Hermand, Jean Pauls Seebuch. In: Euphorion 60, 1966, S. 91. Ebenso in dem Aufsatz: Modell einer Szene. Titan, 18. Jobelperiode, 81. Zykel. In: Hesperus 26, 1963, S. 38.
Die Meinung der älteren Forschung findet sich am konsequentesten vertreten bei Arthur Hübscher, Barock als Gestaltung antithetischen Lebensgefühls, In: Euphorion 24, 1922, S. 517 ff sowie 759 ff. Dagegen etwa Arno Esch, Englische religiöse Lyrik des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1955, S. 13: »Man hat zu viel als Zerrissenheit und paradoxes Existenzbewußtsein der barocken Seele gedeutet, was in Wirklichkeit zu den Glaubensparadoxien des gemeinchristlichen Bewußtseins gehört und sich in ähnlichen Formen schon in der frühchristlichen Literatur belegen läßt.«
Für Einzelheiten hierzu vgl. die in Anmerkung 40 genannten drei Aufsätze Robert Minders.
Jost Hermandy Jean Pauls Seebuch, S. 108.
Jost Hermand, Napoleon oder Don Quichotte. Zur Kontroverse über den Kometen. In: Hesperus 30, 1966, S. 21 f.
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Schweikert, U. (1971). Prolegomena zu einer Bestimmung von Jean Pauls Spätstil. In: Jean Pauls »Komet«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02984-3_9
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