Zusammenfassung
(…) Die naturalistische Allgemeinströmung und die von Holz und Schlaf begonnene Abzweigung hat von Tatsächlichem als letztes Ergebnis für das Drama schließlich nichts gehabt als eine natürlichere Gesprächsform. Diese ist freilich weit entfernt davon, die Gesprächsform des gemeinen Lebens zu sein; ich selbst habe darüber Versuche angestellt, die mich sehr belehrt haben. Das Stück „Im Chambre séparée“ enthält ein-[S. 53:]zelne Stellen, die auf Nachschriften nach dem Leben beruhen; es sind die meisten Reden des Gastes; und was mußte ich mit den Aufzeichnungen anstellen, ehe sie künstlerisch zu verwerten waren !1 Diese natürliche Gesprächsform erlaubt auf jeden Fall feinere Einzelheiten, als sie früher möglich waren, und erleichtert so die Charakterisierung. Aber durch sie wird der Dichter beschränkt in dem, was er geben kann. Er kann seine Personen nur noch das sagen lassen, was sie vielleicht in der Wirklichkeit sagen würden, unter Abrechnung der Zugeständnisse an Ausdruckskraft usw. Am klarsten wird das, wenn wir das Selbstgespräch betrachten. Wir können keine Selbstgespräche mehr geben, weil man im Leben keine Selbstgespräche hält. Im Selbstgespräch konnte der Dramatiker den jedesmaligen Seelenzustand seines Helden schildern. Was wir wirklich sagen, drückt noch nicht einmal das aus, was wir in diesem Augenblick fühlen; und da wir, wenn wir mit anderen Menschen in lebhafter Verbindung stehen, stets etwas Fremdes in uns haben, so drückt es noch viel weniger unsere allgemeine Stimmung in dem betreffenden Zeitabschnitt aus. Außerdem sagen wir stets nur den geringsten Teil von dem, was wir wirklich empfinden, und gerade das Wertvollste verschweigen wir.
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Ernst, P. (1981). »Zwei Selbstanzeigen«. In: Ruprecht, E., Bänsch, D. (eds) Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1890–1910. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02976-8_93
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02976-8_93
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Online ISBN: 978-3-476-02976-8
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