Zusammenfassung
Das Verständnis für die große Tragödie haben wir in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger verloren. Diese unanfechtbare Tatsache läßt sich auf natürliche Weise erklären. Je mehr sich die Anschauung verbreitete, daß das Entscheidende bei aller Kunst in der Art der Ausführung, nicht in dem Gegenstand selbst liege, daß also jeder Stoff an und für sich für die Kunst geeignet und brauchbar sei, desto schneller konnte der Abscheu vor dem Ungewöhnlichen, dem Ungewohnten in der Kunst um sich greifen. Es wuchs eine neue Liebe zum Einfachen, Alltäglichen, Typischen auf, die für die Pose und Festtagsstimmung der Tragödie kein Verständnis haben konnte. Und wo dieser Gegensatz prinzipiell noch hätte ausgeglichen und aufgehoben werden können, da entschied die Tragödie selbst durch ihren Ausgang, die eigentliche Katastrophe, zu ihren Ungunsten. Die moderne Dichtung beschäftigt sich mit den verschiedensten Problemen, aber sie hat eine seltsame Scheu, die Rätsel wirklich zu lösen, die Fragen zu beantworten, und sie beweist darin eine Inkonsequenz, die man bei ihr nicht vermuten sollte — die klarste Lösung ist ihr ein mystisches Helldunkel, die deutlichste Antwort eine Gegenfrage ; und so ist für den Ausgang des modernen Dramas das müde Hindämmern äußerst bezeichnend — ein Schluß ohne Schluß!
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Buchner, E. (1981). »Tragödie und moderne Dichtung«. In: Ruprecht, E., Bänsch, D. (eds) Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1890–1910. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02976-8_25
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-00105-4
Online ISBN: 978-3-476-02976-8
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