Goethes literarisches Archiv 1956

Zusammenfassung

Als Goethe seit dem Mai 1822 eine neue Gesamtausgabe seiner Werke, die Ausgabe letzter Hand, ins Auge faßte, traf er für die Durchführung dieses Unternehmens umfangreiche Vorbereitungen. Es ging dabei zunächst um die Erfassung und Ordnung alles vorhandenen Materials. »Die Hauptsache war« — so formulierte er¹ — »eine reinliche ordnungsgemäße Zusammenstellung aller Papiere, besonders solcher, die sich auf mein schriftstellerisches Leben beziehen, wobei nichts vernachlässigt noch unwürdig geachtet werden sollte.« Über die im Sommer 1822 getroffenen Maßnahmen hat Goethe zu Beginn des Jahres 1823 in einem Aufsatz berichtet, dem er die Überschrift »Archiv des Dichters und Schriftstellers« gab.² Auf die Gesamtheit aller bei ihm befindlichen, von ihm selbst stammenden und bei ihm eingegangenen Papiere wandte er also den Begriff des Archivs an; er umschrieb den erreichten Zustand, auch modernen Auffassungen vom Archiv entsprechend, so, »daß nicht allein Gedrucktes und Ungedrucktes, Gesammeltes und Zerstreutes vollkommen geordnet beisammen steht, sondern auch die Tagebücher, eingegangene und abgesendete Briefe in einem Archiv beschlossen sind, worüber nicht weniger ein Verzeichnis nach allgemeinen und besonderen Rubriken, Buchstaben und Nummern aller Art gefertigt, vor mir liegt«. Der Begriff eines Goethe-Archivs ist also schon damals, und zwar von Goethe selbst, geprägt worden, nicht erst, wie man gemeinhin annimmt, reichlich sechzig Jahre später, als 1885 nach dem Tode des letzten Goethe-Enkels »der schriftliche Nachlaß Goethes zu einem Goethe-Archive mit besonderer eigener Verwaltung erhoben« wurde.³