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Webern, Schönberg und Strawinsky

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Book cover Neue Musik als spekulative Theologie
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Zusammenfassung

Daß sich die neue Musik nach 1945 überwiegend an Webern orientierte und viel weniger an Schönberg, hatte nicht nur ästhetische Gründe. Bezeichnenderweise bediente sich Boulez1, da er gegen Schönberg polemisierte, einer religiösen Parabel: Immer drängte sich ihm die Gestalt des Moses auf, dessen geschichtliche Sendung gewesen wäre, die Musik in das Gelobte Land zu führen. Schönberg habe das Gesetz zwar gekannt, aber nur halbherzig befolgt, das heißt: die Reihentechnik zwar in die Welt gesetzt, aber es unterlassen, sie konsequent weiter zu denken. So vernachlässigte er die Harmonik, ließ die tonalen Rhythmen unangetastet, und seine Formen, voran jene der Suite, waren reaktionär, weil gegen das Material gerichtet. Zweifellos war Boulez’ Rekurs auf den biblischen Moses inspiriert durch Schönbergs Oper Moses und Aron, deren Titelfigur Schönberg deutlich mit autobiographischen Zügen angereichert hatte. Aber die Oper blieb ebenso Fragment wie die Einlösung des »geschichtlichen Auftrags«, die Musik über die »Grenzen des Fruchtlandes« zu leiten. Schönberg hatte versagt, weil er, wie die ältere Soziologie es nannte, der Führersequenz nicht genügte. Er hatte die Erwartungen, mit denen die Geführten den Führer ausstatten, nicht erfüllt. Dabei wurde ihm nicht als schuldmindernd zugute gehalten, daß der biblische Moses von Gott selbst daran gehindert wurde, das Gelobte Land zu betreten, daß mithin das Fragmentarische des Werkes in Gottes Heilsplan gründete.

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Anmerkungen

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Gottwald, C. (2003). Webern, Schönberg und Strawinsky. In: Neue Musik als spekulative Theologie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02923-2_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02923-2_2

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-476-01945-5

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