Zusammenfassung
Fünfzig Jahre nach der Uraufführung der „Danton“-Oper fand in Berlin eine Büchner-Erkundung völlig anderer Art statt. So anders, daß man sich scheut, den Begriff des Kontrastes anzuwenden (der doch Vergleichbares voraussetzt, auch wenn es noch so rudimentär geworden ist). In „Stimme allein“ von Beat Furrer hat sich der kompositorische Umgang mit Georg Büchner vollkommen gewandelt. Sprache erscheint hier nicht nur fragmentiert, sondern seziert, in der Intimität ihres phonetisch-semantischen Sensoriums befragt. Was könnte von der überrumpelnden Wirkung des Salzburger Nachkriegstriumphs weiter entfernt sein? Furrer packt die Sprache bei ihrer Mitte: beim Laut, beim Übergang von Klingen und Nicht-Klingen, von Hauch und Ton, Vokalise und Text. Er reduziert sie auf sich selbst. Damit befreit er sie von approbierten Lösungen einer „Vertonung“ — und gewinnt sie neu: als Klangfigur.
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Literatur
Statt dessen machten unterschiedliche Argumentationsebenen eine Verständigung häufig schwer und außer dem „Fehlen jeglicher Form der Vergangenheitsbewältigung“ gab es wenig Gemeinsamkeiten: „Eine Auseinandersetzung mit und um einzelne Kunstwerke findet (…) überhaupt nicht statt. Der Streit um die moderne Kunst in den 50er Jahren dreht sich (…) immer wieder um unbeweisbare Theorien und nicht beweisbare Axiome“ (Falko Herlemann: Zwischen unbedingter Tradition und bedingungslosem Fortschritt. Zur Auseinandersetzung um die moderne Kunst in der Bundesrepublik Deutschland der 50er Jahre, Frankfurt am Main, Bern u.a. 1989, S. 217 und 218).
Melichar: Überwindung des Modernismus. Konkrete Antwort an einen abstrakten Kritiker, Wien, London u.a. 31955, S. 88.
Ebd., S. 121 und 219. Beim breiten Publikum stieß die Richtung, so dominierend sie in der Nachkriegskunst war, auf Ablehnung. Es spricht für sich, daß bei einer Meinungsumfrage des Demoskopischen Instituts (Allensbach) Mitte der 50er Jahre nur drei Prozent der Befrag Nachkriegskunst war, auf Ablehnung. Es spricht für sich, daß bei einer Meinungsumfrage des Demoskopischen Instituts (Allensbach) Mitte der 50er Jahre nur drei Prozent der Befragten sich abstrakte oder surrealistische Kunst in ihrer Wohnung vorstellen konnten, während zwei Drittel ein Ölgemälde samt Landschaft zum Lieblingsmotiv erklärten. Vgl. Hans Körner (Hg.): „Flächenland“. Die abstrakte Malerei im frühen Nachkriegsdeutschland und in der jungen Bundesrepublik, Tübingen und Basel 1996, S. 73f. Wilhelm Worringer differen zierte in diesem Zusammenhang nach dem Verhältnis zu den Sprachmitteln und akzentuierte in seiner Schrift „Problematik der Gegenwartskunst“ die Spaltung zwischen „Publikumskunst und Künstlerkunst“. Vgl. hierzu auch Herlemann: Zwischen unbedingter Tradition und be dingungslosem Fortschritt, a.a.O., S. 25ff.
Krause: Werner Egk. Oper und Ballett, Wilhelmshaven 1971, S. 61 und 41.
Vgl. Hans-Günter Klein: „Viel Konformität und wenig Anpassung. Zur Komposition neuer Opern 1933–1944“, in: H.-W. Heister/H.-G. Klein (Hg.): Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland, Frankfurt am Main 1984, S. 149.
Christine Fischer-Defoy: Kunst, Macht, Politik. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, Berlin 1988, S. 239. Im Gegensatz zur „Zaubergeige“ führte Egks Oper „Peer Gynt“ zu heftigen Meinungsverschiedenheiten auch innerhalb der nationalsozialistischen Führungsriege. Vgl. hierzu das Kapitel „Hitler in der Oper. Der ‚Führer‘ und Werner Egks Peer Gynt“ bei
Michael Walter: Hitler in der Oper. Deutsches Musikleben 1919–1945, Stuttgart und Weimar 1995, S. 175–212, sowie
Frank Schneider: „‚… nach langer Irrfahrt kehrst du dennoch heim…‘ Werner Egks ‚Peer Gynt‘. Ein musikalischer Fall zur Dialektik der Anpassung“, in: Beiträge zur Musikwissenschaft, 28. Jg., 1986, S. 10–17, und F. K. Prieberg: Musik im NS-Staat, a.a.O., S. 318–324. M. H. Kater (The twisted Muse, a.a.O.) behandelt den Fall „Peer Gynt“ kurz auf S. 186.
Egk: Die Zeit wartet nicht, München 1981, S. 373.
Wolfgang Schimmag: Einhundert Jahre Musikhochschule, Berlin 1969, S. 47.
Werner Haftmann: Malerei im 20. Jahrhundert. Eine Bildenzyklopädie, München 61996, S. 325.
Wolff: Ordnung und Gestalt. Die Musik von 1900–1950, Bonn-Bad Godesberg 1978, S. 234f.
Diese Diskussion, auf die wir hier nicht eingehen können, erläutert Hans Frei am Beispiel von Blachers Freund und Mitarbeiter Max Bill: Konkrete Architektur? Über Max Bill als Architekt, Baden 1991, S. 142ff.
Gomringer: theorie der konkreten poesie, texte und manifeste 1954–1997, Wien 1997, S. 15.
Josef Häusler (Musik im 20. Jahrhundert. Von Schönberg zu Penderecki, Bremen 1969, S. 121) spricht von einem „Sonderfall modernen deutschen Musiktheaters“. Virgil Thomson hat sich bereits in den späten 40er Jahren mit Libretti der Dadaistin Gertrude Stein beschäftigt. Zur Tradition vom Gesang auf sinnlosen Silben und deren Verwendung im Jazz vgl. Mathias Bielitz: „Zur Verwendung von Sprache in der Neuen Musik“, in: Vogt (Hg.): Neue Musik seit 1945, a.a.O., S. 83f. Ravel läßt in „L’Enfant et les Sortilèges“ das Teeservice Phantasiebrocken des Chinesischen singen.
Burde: „Kohle und Kultur. Uraufführung in Berlin: Boris Blachers Kammeroper ‚Habemeajaja‘ in der Akademie der Künste“, in: Die Zeit vom 6. Februar 1987.
Heister: „Hommage an Boris Blacher. Die wiederentdeckte Kammeroper ‚Habemeajaja‘: Zivilisationssatire mit Jazz“, in: Frankfurter Rundschau vom 11. Februar 1987.
Zur Definition des Lautgedichts vgl. Erkki Salmenhaara (Das musikalische Material und seine Behandlung in den Werken Apparitions, Atmosphères, Aventures und Requiem von György Ligeti, Helsinki 1969, S. 109): „Faktisch handelt es sich bei diesen Gedichten (…) um Sprachkonstruktionen, die auf musikalischen Prinzipien basieren: das Material der Sprache, die Worte, Silbenlaute werden zu rhythmischen und visuellen Kompositionen zusammengefügt. Ihre Konstruktionsweise entspricht weitergehend der Behandlung des akustischen Materials in der Musik.“ In einem Vortrag von 1959 im Literarischen Cabaret Wien kreiste Gerhard Rühm den Begriff des Lautgedichts so ein: „der sprachlaut ist eine menschliche Wirklichkeit. (…) die sprachlaute bestehen aus vokalen und konsonanten, das heißt aus klängen und geräuschen. sie enthalten alles was der mensch auszudrücken vermag. jeder vokal und jeder konsonant hat seinen besonderen ausdruckswert. das bedeutet diese ausdruckswerte können als autonome gestaltungsmittel uneingeschränkt zueinander in beziehung gesetzt werden.“ (Zit. nach Riha: Da Dada da war ist Dada da, München und Wien 1980, S. 232)
Georg Heike (Musiksprache und Sprachmusik. Texte zur Musik 1956–1998, Saarbrücken 1999, S. 111) definiert den Begriff als „Sachverhalt der Musikalisierung phonetischer und linguistischer Parameter und des Komoonierens mit ohonetischem Material“.
Werner Klüppelholz: Sprache als Musik, Saarbrücken 21995, S. 140.
Scherf: „Die »variablen’ Prozesse in der Abstrakten Oper Nr. 1 von Boris Blacher“, in: O. Kolleritsch (Hg.): Zum Verhältnis von zeitgenössischer Musik und zeitgenössischer Dichtung, Graz und Wien 1988, S. 136.
Worringer: Abstraktion und Einfühlung, Amsterdam 1996, S. 79.
Akademie der Künste (Hg.): Camaro. Bilder, Aquarelle, Graphik, Berlin 1969, S. 102.
Haftmann: Malerei im 20. Jahrhundert. Eine Entwicklungsgeschichte, München, London u.a. 92000, S. 465.
Bense: „Einführung in die Informationsästhetik“, in: H. Ronge (Hg.): Kunst und Kybernetik, Köln 1968, S. 41.
Blacher: „Die musikalische Komposition unter dem Einfluß der technischen Entwicklung der Musik“, in: F. Winckel (Hg.): Klangstruktur der Musik, Berlin 1955, S. 208.
Ertel: Psychophonetik. Untersuchungen über Lautsymbolik und Motivation, Göttingen 1969, S. 26.
Peter von Seherr-Thoss; György Ligetis Oper „Le Grand Macabre“, Weimar 1998, S. 179.
Monika Lichtenfeld: „György Ligeti oder Das Ende der seriellen Musik“, in: Melos 2/1972, S.76.
Harald Kaufmann: „Ein Fall absurder Musik“, in: ders: Spurlinien, Wien 1969, S. 130.
Wilfried Gruhn: Musiksprache — Sprachmusik — Textvertonung, Frankfurt am Main u.a. 1978, S. 98. Klüppelholz (Sprache als Musik, a.a.O., S. 132) unterscheidet zwischen „konventionalisierten Interjektionen, (…) Lautfolgen mit symbolischer Bedeutung und (…) sprachlich bedeutungslosen“. Denkbar plastisch fällt hierzu die Beschreibung von Ulrich Dibelius aus (Ligeti. Eine Monographie in Essays, Mainz, London u.a. 1994, S. 79): „Und um die psychische Dimension bei den drei Vokalstimmen (…) unmißverständlich hervorzuheben, verzichtet Ligeti auf Sprache und Wortsinn, verwendet statt dessen allein die Phoneme einer vorsprachlichen Lautäußerung: Hecheln, Stammeln, Plappern, Bramarbasieren, Staunen, Zischeln, Flüstern, aufgeregtes Durcheinanderquasseln — ein ständiges Als-ob von Disputen, emotionalen Zuständen, Mini-Szenen und bizarren Abbreviatur-Dramoletten.“
Helms: „Voraussetzungen eines neuen Musiktheaters“, in: U. Dibelius (Hg.): Musik auf der Flucht vor sich selbst, München 1969, S. 113.
Nationaltheater Mannheim (Hg.): Bühnenblätter für die Spielzeit 1953/1954, Nummer 8, S. 1–4, Zitat S. 2ff. Eine komplette Version findet sich im VA/BB; ausschnittweise Zitate auch bei Henrich (Hg.): Boris Blacker. Dokumente zu Leben und Werk, a.a.O., S. 110f.
Ulmer Theater (Hg.): Programmheft zum Studiokonzert „Oper im Experiment“ am 7. November 1970, Redaktion: Klaus-Edgar Wichmann unter Mitarbeit von Robert Werner, o. S.
Huelsenbeck (Hg.): Dada. Eine literarische Dokumentation, Reinbek bei Hamburg 1984, S. 117f.
Blaukopf/Klein: „Dada in der Musik“, in: W. Verkauf: Dada. Monographie einer Bewegung, Teufen 1957, S. 89.
Dahinaus: „Über Sinn und Sinnlosigkeit in der Musik“, in: Die Musik der sechziger Jahre. Zwölf Versuche, hg. von R. Stephan, Mainz 1972, S. 94.
Mehr zum Verhältnis von Musik und Dadaismus bei Jürg Stenzl: „Tradition und Traditionsbruch“, in: Die Neue Musik und die Tradition. Sieben Kongreßberichte und eine analytische Studie, he. von R. Brinkmann, Mainz 1978, S. 90ff.
Zit. nach Hans Richter: DADA — Kunst und Antikunst, Köln 41978, S. 220. 129 Schwitters verstand seine Merzdichtung insofern als abstrakt, als sie vorbegriffliches Erleben ermöglicht und in der „Hinwendung zu Ding- und Sprachfragmenten (…)“ zu begreifen ist „als ein Harmonisierungsversuch mit der nicht mehr als geordnet erfahrbaren Außenwelt“. Vgl. zu dieser Problematik Helgard Bruhns: „Zur Funktion des Realitätsfragments in der Dichtung Kurt Schwitters’“, in: H. L. Arnold (Hg.): Kurt Schwitters (= Text und Kritik, Band 35/36) München 1971, S. 33–39, Zitat S. 35f.
Herrmann: „Wer ist nun durchgefallen? Mannheimer Theaterskandal um ‚Abstrakte Oper Nr. 1‘“ in: Westdeutsche Neue Presse vom 19. Oktober 1953.
Zimmermann: Intervall und Zeit, Mainz 1974, S. 39.
Rüdiger Görner (Die Kunst des Absurden: über ein literarisches Phänomen, Darmstadt 1996, S. 11) beschreibt in Anlehnung an Baudelaire das „Wagnis der Moderne“ unter Anwendung dieser Kategorien: „Sich dem Grotesken zu stellen, in der Logik des Absurden zu denken, die Wirklichkeit zu phantasieren und den Traum in die Lebenswirklichkeit zu integrieren — oder sie, um des Traumes willen, aufzulösen.“
Zit. nach M. Esslin: Das Theater des Absurden, Reinbek bei Hamburg, 171996, S. 194.
Heidsieck: Das Groteske und das Absurde im modernen Drama, Stuttgart, Berlin u.a. 21971, S. 114.
Eckhard Roelcke: „Instrumentales Theater. Anmerkungen zu Mauricio Kagels Match und Sur scène“, in: C. Floros u.a. (Hg.): Musiktheater im 20. Jahrhundert, Laaber 1988, S.231.
Salmenhaara: Das musikalische Material und seine Behandlung in den Werken Apparitions, Atmosphères, Aventures und Requiem von György Ligeti, a.a.O., S. 113. Vgl. ergänzend neben Roelcke, a.a.O., auch Vogt: Neue Musik seit 1945, a.a.O., S. 40f. und Sacher: Musik als Theater, Regensburg 1985, S. 167ff.
Köhler: Nonsens. Theorie und Geschichte der literarischen Gattung, Heidelberg 1989, S. 15.
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Mösch, S. (2002). Jenseits der Worte: „Abstrakte Oper Nr. 1“. In: Der gebrauchte Text. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02902-7_4
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