Zusammenfassung
Kleists rekurrente Themen sind die Brüchigkeit und Zerrissenheit der Welt, die vergebliche Suche nach der Wahrheit, die UnZuverlässigkeit der Sprache sowohl in ihrer Funktion als Medium der Darstellung von Wahrheit als auch als Instrument der Kommunikation. Der Mensch irrt, seiner selbst ebensowenig gewiß wie der Dinge, durch eine verrätselte Welt. Irrtümer, Verrätselungen, Mißverständnisse und als Folge all dessen tatsächlicher oder knapp verhinderter Mord und Totschlag — so das Grundmodell der Dramen und erzählerischen Texte Kleists. Zentral ist der Topos vom Sündenfall, und so kommt es immer wieder zu Sünden-Fällen; der Mensch fällt durch die Welt bei Kleist. ›Der zerbrochne Krug‹ ist diesem Themen- und Bildfeld verbunden, wenngleich er ein »Lustspiel« heißt und ist.1 Kleist hatte angeblich — die Episode ist mittlerweile umstritten und der Legendenbildung verdächtig — 1802 in der Schweiz gemeinsam mit Ludwig Wieland und Heinrich Zschokke einen Kupferstich des Franzosen Le Veau betrachtet und einen (scherzhaften) Wettstreit mit ihnen vereinbart: Jeder der drei sollte »seine eigentümliche Ansicht« (Zschokke)2 über das Bild literarisch umsetzen.3 In einer nur handschriftlich überlieferten Vorbemerkung weist der Dichter darauf hin, daß sein Lustspiel durch ein Bild angeregt wurde. Le Veaus Kupferstich war bereits eine ›Übersetzung‹; er ging zurück auf eine Vorlage des französischen Malers Philibert Louis Debucourt. Dessen (inzwischen verschollenes) Bild ›Le Juge de Village‹ war 1781 im Pariser ›Salon‹ ausgestellt worden.
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Vgl. Erich Schmidt, Kleist als Dramatiker. In: Wege der Forschung: Heinrich von Kleist, hg. von Walter Müller-Seidel, Darmstadt 1967, S. 15 f. — Zum ›Wettstreit‹ der Freunde vgl. auch Erläuterungen und Dokumente: Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug, hg. von Helmut Sembdner, Stuttgart 1973, S. 73 und S. 84 f.
Vgl. Ilse Graham, Der zerbrochene Krug — Titelheld von Kleists Komödie. In: Wege der Forschung: Heinrich von Kleist, hg. von Walter Müller-Seidel, Darmstadt 1967, S. 272–295.
Vgl. Gernot Müller, Man müßte auf dem Gemälde selbst stehen. Kleist und die bildende Kunst, Tübingen und Basel 1995, S. 131 f. — Ernst Theodor Voss, Kleists ›Zerbrochner Krug‹ im Lichte alter und neuer Quellen. In: Wissen aus Erfahrungen. Werkbegriff und Interpretation heute. Festschrift für Herman Meyer zum 65. Geburtstag, hg. von Alexander von Bormann, Tübingen 1976, S. 338–370.
Zu Zeichentheorie und Sündenfallthematik: Helmut Pfotenhauer, Kleists Rede über Bilder und in Bildern. Briefe, Bildkommentare, erste literarische Werke. In: KJb 1997, S. 126–148.
Vgl. Gerhard Kurz, ›Gott befohlen‹. Kleists Dialog ›Über das Marionettentheater‹ und der Mythos vom Sündenfall des Bewußtseins. In: KJb 1981/82, S. 264–277.
— Vgl. auch: Dirk Grathoff, Der Fall des Krugs. Zum geschichtlichen Gehalt von Kleists Lustspiel. In: KJb 1981/82, S. 290–313.
Zu den Babel-Reminiszenzen vgl. etwa Ribbat, Babylon in Huisum (wie Anm. 14), S. 146; Bernhard Greiner, Eine Art Wahnsinn. Dichtung im Horizont Kants. Studien zu Goethe und Kleist, Berlin 1994, S. 137.
Friedrich Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne. In: Ders., Werke, hg. von Karl Schlechta, sechste Auflage, München 1969, Bd. 3, S. 309–322.
So meint Jochen Schmidt, das Bild des Königs sei unwichtig, entscheidend sei die »Prägung der Gulden als Zeichen ihrer Echtheit«. Jochen Schmidt, Heinrich von Kleist. Studien zu seiner poetischen Verfahrensweise, Tübingen 1974, S. 149–156, hier S. 155.
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2002 Springer-Verlag GmbH Deutschland
About this chapter
Cite this chapter
Schmitz-Emans, M. (2002). Das Verschwinden der Bilder als Geschichtsphilosophisches Gleichnis. In: Blamberger, G. (eds) Kleist-Jahrbuch 2002. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02896-9_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02896-9_6
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
Print ISBN: 978-3-476-01930-1
Online ISBN: 978-3-476-02896-9
eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)