Ignorieren als literaturkritische Strategie. Enid Blyton im Spiegel von Literatur-Lexika

Zusammenfassung

Enid Blyton ist zwar die erfolgreichste Kinderbuchautorin aller Zeiten, deren Rekorde wohl auf ewig bestehen bleiben werden, dennoch ist sie jahrelang von der Literaturkritik beinahe einmütig ignoriert worden. Doch dann plötzlich wieder ein blendendes Schlaglicht:

Was haben Sie denn gegen Enid Blyton?: Sie war keine gute Schriftstellerin. Nur für ganz kleine Kinder konnte sie gut schreiben. Für ältere Kinder war sie völlig uninteressant. Nie erlaubte sie ihren Figuren „Hanni und Nanni“ oder den fünf Freunden, erwachsen zu werden. Nie verschwenden diese 14-Jährigen einen Gedanken an sexuelle Gefühle, nie haben sie einen schlechten Wunsch. Es gab immer nur die bitterbösen Verbrecher und die anständigen reizenden Mittelklasse-Kinder. Bei ihr steht Mutti immer in der Küche und backt Kuchen, während Daddy das Auto repariert. Aber Kinder erleben den Alltag nie so harmonisch. Enid Blyton war einfach eine Lügnerin. (Interview mit J. K. Rowling, Frankfurter Rundschau, 2000)

Dieses vernichtende Urteil über die erfolgreichste Kinderbuchautorin aller Zeiten kommt von der erfolgreichsten Kinderbuchautorin der Gegenwart — von J. K. Rowling, der Autorin der Harry Potter-Romane. Rowlings Verhältnis zu Blyton ist nicht nur darin begründet, daß sie als Prätendentin urn den Thron der Königin in diesem Genre wetteifert; die Harry Potter-Romane spielen in einem Intemat, und wer sich mit diesem Sujet befaßt, muß sich nolensvolens an Blyton messen lassen, die diese Gattung mit ihren Serien über die Schulen St. Clare’s und Malory Towers beherrscht.