Zusammenfassung
»Das Seebad das ich hier brauche bekömmt mir sehr gut; wären nur nicht die fatalen Gemüthsbewegungen«, schreibt Heinrich Heine am 23. August 1823 an seinen Freund Moses Moser aus Ritzebüttel nach Berlin. (HSA XX, 109) Heine ist bereits seit einem Monat an der Nordseeküste und logiert im Gasthof Harmonie.1 Ritzebüttel ist ein Fischerdorf, das erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem nahe gelegenen Cuxhaven vereinigt werden sollte, im dortigen Schloss residieren die Hamburger Amtmänner, in dieser Funktion auch von 1735 bis 1741 der Dichter Barthold Hinrich Brockes. Das Seebad in Cuxhaven ist erst einige Jahre zuvor, 1816, eingeweiht worden, aber das deutsche Seebäderwesen insgesamt hat zu diesem Zeitpunkt noch keine lange Geschichte. 1794 hatte der Arzt Samuel Gottlieb Vogel das erste Bad an der deutschen Küste, in Doberan, in der Nähe Rostocks eröffnet. 1799 folgte, auf Initiative des Mediziners Friedrich Wilhelm von Harlem, das erste Inselbad auf Norderney.2 Begleitet wurde diese Entwicklung von einer lebhaften wissenschaftlichen Debatte über den physiologischen Nutzen des Badens im salzigen Meerwasser, wie sie die 1801 erschienene Schrift »Nöthige Erinnerung an die Bäder« des Weimarer Arztes Christoph Wilhelm Hufeland dokumentiert, sowie von einer schon früh einsetzenden Flut von Schriften über das Seebäderwesen, deren Gattung zwischen Reisebericht, Geschichtsschreibung und wissenschaftlicher Belehrung anzusiedeln ist.3 Auch die 1818 in Hamburg veröffentlichte und für die Entwicklung des Seebäderwesens in Deutschland wichtige Schrift »Ritzebüttel und das Seebad Cuxhaven« von Amandus Augustus Abendroth ist diesem, von spätaufklärerischem Geist geprägten Genre zuzurechnen.4
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Anmerkungen
Vgl. Mende, S. 37–38.
Vgl. Alain Corbin: Meereslust. Das Abendland und die Entdeckung der Küste. Berlin 1990, S. 399 u. Michael Fleischer: Heinrich Heine. Dichter der Nordsee. »Geschrieben auf der Insel Norderney.« Norderney 2001, S. 10–12.
Christoph Wilhelm Hufeland: Nöthige Erinnerung an die Bäder. Weimar 1801.
Amandus Augustus Abendroth: Ritzebüttel und das Seebad Cuxhaven. Hamburg 1818.
Georg Christoph Lichtenberg: »Warum hat Deutschland noch kein öffentliches Seebad?« — In: Göttinger Taschen Calender für 1793, S. 92–109.
Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe. Hrsg. v. Wolfgang Promies. München 1967–1992, Bd. III, S. 95.
Lichtenberg schreibt am 14. Juli 1788 an Woltmann: »Ihre zweite Abhandlung habe ich richtig erhalten, und da jetzt Herr Dieterich ernstlich entschlossen scheint, das Magazin fortzusetzen, so sollen Sie dieselbe in dem ersten Stücke gedruckt sehen. Ich werde Ew. Wohlgeboren öffentlich einen Brief adressieren, über die Seebäder und warum Ritzebüttel nicht eins anlegt. Ich weiß, was sich dafür und darwider sagen läßt, allein ich wollte gerne, daß die Sache öffentlich debattiert würde.« Lichtenberg [Anm. 6], Bd. IV, S. 736.
Am 23. Juli 1789 schreibt Lichtenberg an Woltmann: »Ich zweifle nun, ob Dieterichs Magazin fortgehen wird. Ich will Ihnen also meinen Brief über das Seebad längstens innerhalb 14 Tagen übersenden, und Sie können damit machen, was Sie wollen.« Lichtenberg [Anm. 6], Bd. IV, S. 766. Vgl. Göttinger Taschen Calender für 1795, S. 115–126.
Vgl. Henner Montanus: Der kranke Heine. Stuttgart u. Weimar 1995. (= Heine-Studien), S. 243.
Lichtenberg [Anm. 6], Bd. III, S. 96.
Ebd., S. 102.
Heinrich Heines Werk im Urteil seiner Zeitgenossen. Begründet von Eberhard Galley und Alfred Estermann. Hrsg. v. Christoph auf der Horst und Sikander Singh. Bd. VIII: Rezensionen und Notizen zu Heines Werken aus den Jahren 1844 bis 1845. Hrsg. u. eingeleitet von Sikander Singh. Stuttgart und Weimar 2002, S. 449f. u. 454 (= Heine-Studien).
Georg Christoph Lichtenberg: Gedanken und Maximen. Lichtstrahlen aus seinen Werken. Mit einer biographischen Einleitung hrsg. v. Eduard Griesebach. Leipzig 1871; Eduard Griesebach: Die deutsche Literatur 1770–1870. Wien 1876, S. 77.
Erich Eckertz schreibt über Heines Witz: »Am meisten noch von den Rationalisten neigt Lichtenberg zu Heines Witz. Wie Falstaff, so klingen auch in ihm gerade witzige Vergleiche Heines vor. Heine mochte manches von ihm haben, denn er kannte und schätzte ihn. Beiden gemein ist ein ausgeprägt verstandesscharfer Zug und eine verblüffende Treffsicherheit. Wo in Heine das rationalistische, das poesielose überwiegt, klingt er oft auffallend an Lichtenberg an. Die Verwandtschaft erklärt sich vielleicht durch den gemeinsamen Nährboden Göttingen. Beide haben etwas burschikosstudentisches.« Erich Eckertz: Heine und sein Witz. Berlin 1908. (= Literarhistorische Forschungen. Heft XXXVI), S. 62.
Erich Loewenthal: Studien zu Heines »Reisebildern«. Berlin u. Leipzig 1922. (= Palaestra. Untersuchungen und Texte aus der Deutschen und Englischen Philologie 138), S. 20–22.
Vgl. Wolfram Mauser: Über Gedanken und andere Blitze. Denken: ein Trieb der Natur. — In: ders.: Georg Christoph Lichtenberg. Vom Eros des Denkens. Freiburg i. Br. 2000. (= Rombach Wissenschaften. Reihe Studeo. Bd. 10), S. 47–74; Joseph Peter Stern: Lichtenbergs Sprachspiele. — In: Aufklärung über Lichtenberg. Hrsg. v. Wolfgang Promies. Göttingen 1974, S. 60–75; Gert Sautermeister: Georg Christoph Lichtenberg. München 1993. (= Beck’sche Reihe Autoren. 630), S. 38–51.
Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Bd. IV. Wien 1808, Sp. 1587.
DHA VI, 83. Vgl. hierzu auch DHA VI, 587 sowie Richard Moritz Meyer: Nicht mehr als sechs Schüsseln. — In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte. Bd. 8. Jg. 1901. Leipzig u. Wien 1901, S. 706–709.
DHA X, 316.
Vgl. DHA VI, 835 oder DHA VII, 835.
Heine erwähnt Lichtenberg lediglich in einem Brief vom 14. Mai 1826 an Karl August Varnhagen von Ense: »Lichtenberg sagt sehr treffend daß wir uns selbst in andern nicht so wohl lieben als auch hassen können.« (HSA XX, 243). Vgl. hierzu Eberhard Galley: Harry Heine als Benutzer der Landesbibliothek Düsseldorf. — In: HJb 1971, S. 30–42 und Walter Kanowsky: Heine als Benutzer der Bibliotheken in Bonn und Göttingen. — In: HJb 1973, S. 129–153.
Georg Christoph Lichtenberg: Vermischte Schriften. Hrsg. v. Ludwig Christian Lichtenberg u. Friedrich Kries. 9. Bde. Göttingen 1800–1806.
Vgl. hierzu HSA XX, 147; DHA VI, 587; DHA X, 405; DHA XII, 816.
Vgl. Sikander Singh: Heinrich Heine und die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts. — In: HJb 2000, S. 70–72.
»Lichtenberg, in seinen Briefen aus England, giebt uns einige bedeutsame Nachrichten über die Meisterschaft, womit, in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, auf der Londoner Bühne die Shakspearschen Charaktere dargestellt wurden.« (DHA X, 22) Lichtenbergs »Briefe aus England. An Heinrich Christian Boie« erschienen von Oktober 1775 bis Mai 1778 im »Deutschen Museum« und wurden ebenfalls in den dritten Band der »Vermischten Schriften« aufgenommen. Vgl. Lichtenberg [Anm. 22], Bd. III, S. 239–327.
Vgl. Siegbert S. Prawer: Frankenstein’s Island. England and the English in the Writings of Heinrich Heine. Cambridge 1986 u. Terence James Reed: Unrequited Dislike: Heine and England. — In: »For Freedom’s Battle«. Heinrich Heine and England. Hrsg. v. Julia Rosenthal. London 1998, S. 114–117.
Vgl. hierzu Wolfgang Promies: Georg Christoph Lichtenberg in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg 1964. (= Rowohlts Monographien. 90), S. 51.
Lichtenberg [Anm. 6], Bd. IV, S. 210–212.
Vgl. Hans Mayer: Außenseiter. Frankfurt a. M. 1975.
Werner I, 288f.
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Singh, S. (2003). »Schickt einen Philosophen nach London; bey Leibe keinen Poeten!« Heinrich Heine und Georg Christoph Lichtenberg. In: Kruse, J.A. (eds) Heine-Jahrbuch 2003. Heine-Jahrbuch. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02887-7_10
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