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Das Leben — buchstäblich. Über neuere Biographik und Geschichtswissenschaft

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Grundlagen der Biographik

Zusammenfassung

Zwischen Historikern und Biographen hat der Himmel Zwietracht gesät. Fast möchte man von einem kalten Krieg der beiden Lager reden, in dem so etwas wie friedliche Koexistenz zeitweilig noch der angenehmste Zustand war. Gewiss hat es dabei immer wieder Tauwetterperioden gegeben, in denen sich die Historiker den Biographen zuneigten — und gerade die größten haben das Genre der Lebensbeschreibung nicht gescheut, man denke an Rankes Wallenstein und Droysens York von Wartenburg. Zweifellos findet sich unter den Meisterwerken und Klassikern der historiographischen Literatur eine nicht unbeträchtliche Zahl von Biographien. Aber auf einen Plutarch und einen Joinville, auf einen Georg Brandes, einen Lucien Febvre oder einen Golo Mann kamen jeweils Dutzende von Historikern, die das Genre der Lebensbeschreibung verachteten und befeindeten. Schlimmer noch: Auf einen der seriösen und sensiblen Historiker, die ein ausgeprägter Sinn für die Nuance, für die historische Differenz und das Individuum ineffabile zum biographischen Genre führte, kamen Dutzende von historischen Kolportageromanciers und anachronistischen Biographen, deren gefühlige und gefällige Werke dazu angetan waren, die Biographik um ihren schwer gewonnenen und mühsam verteidigten Ruf zu bringen. Dass auf einen Ernst Kantorowicz nicht nur ein Emil Ludwig kam, sondern deren viele und viele Geringere — das war es, was der Biographik wie ein Mühlstein am Halse hing. Sie war und ist ein Opfer ihres Publikumserfolgs.

Der vorliegende Text erschien erstmals unter dem Titel Inter Lineas oder Geschriebene Leben in: Ulrich Raulff: Der unsichtbare Augenblick. Zeitkonzepte in der Geschichte. Göttingen: Wallstein Verlag 22000. Für den Abdruck in diesem Band wurde er leicht überarbeitet und um ein Nachwort ergänzt.

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Notizen

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Raulff, U. (2002). Das Leben — buchstäblich. Über neuere Biographik und Geschichtswissenschaft. In: Klein, C. (eds) Grundlagen der Biographik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02884-6_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02884-6_4

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart

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