Zusammenfassung
Herman Grimm und Friedrich Nietzsche gehören zu den wenigen frühen deutschen Lesern von Ralph Waldo Emerson (1803–1882), welche die epochale Bedeutung und die Subtilität des amerikanischen Denkers erkannt und begründet gewürdigt haben. Grimm und Nietzsche machen überdies beide, wenn auch auf unterschiedliche Weise, auf ein Charakteristikum aufmerksam, das für sie Emersons Werke in ihrer Schriftlichkeit auszeichnet. Grimms Essay über Emerson aus dem Jahre 1865 beginnt mit einem Bericht seiner ersten Leseerfahrung:
Ich sah hinein, las eine Seite herunter und war erstaunt, eigentlich nichts verstanden zu haben, obgleich ich mir meines Englisch ziemlich bewußt war. […] Der Satzbau erschien mir ganz außergewöhnlich. Bald entdeckte ich das Geheimniß. Es waren wirkliche Gedanken, war eine wirkliche Sprache, ein reeller Mensch, den ich vor mir hatte, kein — ich brauche den Gegensatz nicht weiter auszuführen […].1
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Notizen
Herman Grimm: Ralph Waldo Emerson. Neue Essays über Kunst und Literatur. Berlin 1865, S. 1.
Herwig Friedl: Emerson and Nietzsche: 1862–1874. In: Peter Freese (Hg.): Religion and Philosophy in America. Bd. 1. Essen 1987, S. 161–182.
Zu den herausragenden Studien gehören: Charles Andler: Nietzsche: Sa vie et sa pensée. Paris 1920–1931;
Eduard Baumgarten: Mitteilungen und Bemerkungen über den Einfluß Emersons auf Nietzsche. In: Jahrbuch für Amerikastudien 1 (1956), S. 93–152;
Stanley Hubbard: Nietzsche und Emerson. Basel 1958;
George J. Stack: Nietzsche and Emerson. An Elective Affinity. Athens, OH 1992
und Michael Lopez (Hg.): Emerson and Nietzsche. Emerson Society Quarterly. Special Issue. 43. Bd. 1997.
Friedrich Nietzsche: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 9. München 1980, S. 588.
Ralph Waldo Emerson: The American Scholar. In: The Works of Ralph Waldo Emerson. Standard Library Edition. Hg. von James Elliot Cabot. Bd. 1. Boston 1883, S. 92. Die Schriften Emersons werden im folgenden nach dieser Ausgabe zitiert. Zitate werden im laufenden Text durch die Sigle ›WE‹mit entsprechender Bandnummer (römische Ziffern) und Seitenzahl identifiziert.
Tony Tanner: Lustres and Condiments: Ralph Waldo Emerson in his Essays. In: Ders.: The American Mystery. American Literature from Emerson to DeLillo. Cambridge 2000, S. 5.
Karl Lowith: Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Hamburg 1978, S. 192.
Die bedeutendste Auslegung des Emersonschen Naturverständnisses, der auch durchgängig die folgenden Ausführungen verpflichtet sind, ist Thomas Krusche: R. W. Emersons Naturauffassung und ihre philosophischen Ursprünge. Tübingen 1987.
Den gründlichsten Überblick zur Bedeutungsfülle von power bei Emerson gibt Michael Lopez: Emerson and Power: Creative Antagonism in the Nineteenth Century. DeKalb, IL 1996.
Vgl. Harold Bloom: Emerson: Power at the Crossing. In: Lawrence Buell (Hg.): Ralph Waldo Emerson. A Collection of Critical Essays. Englewood Cliffs, NJ 1993, S. 148–158.
Die wichtigsten Arbeiten zu Emersons Auffassung der Schrift als performativer Akt des »troping«, der ständigen umdeutenden Erneuerung, sind: Richard Poirier: The Renewal of Literature. Emersonian Reflections. New York 1987 und insbesondere Richard Poirier: Poetry and Pragmatism. Cambridge, MA 1992, S. 3–75.
John Michael: Emerson and Skepticism. The Cipher of the World. Baltimore, MD 1988.
Eine der besten Studien zu Emersons Proto-Pragmatismus ist David M. Robinson: Emerson and the Conduct of Life: Pragmatism and Ethical Purpose in the Later Work. Cambridge 1993.
Stanley Cavell hat diesen Gestus des Denkens mit einem Begriff aus Emersons History als »onward thinking« bezeichnet: Stanley Cavell: Thinking of Emerson. In: Buell (Hg.): Ralph Waldo Emerson, S. 191–198, hier S. 198; Pamela J. Schirmeister: Less Legible Meanings. Between Poetry and Philosophy in the Work of Emerson. Standford, CA 1999 deutet Emersons Denken ähnlich als postmetaphysischen Vollzug der ständigen Übergänglichkeit von Philosophie in poetischen, pragmatistischen Entwurf.
Zur Verwandlung der traditionellen theologischen Deutung von Schrift und Sprache im Werk von Emerson: Philip F. Gura: The Wisdom of Words. Language, Theology, and Literature in the New England Renaissance. Middletown, CT 1981, S. 75–105.
Alan D. Hodder: Emerson’s Rhetoric of Revelation. ›Nature‹, the Reader, and the Apocalypse Within. University Park, PA 1989, S. 22–25.
Detaillierte Deutungen dieses radikal postchristlichen Textes finden sich bei Joel Porte: Representative Man. Ralph Waldo Emerson in His Time. New York 1988, S. 127–146
und bei: Herwig Friedl: Der biblische Grund und Hintergrund der literarischen Kultur Amerikas. In: Wilhelm Goessmann (Hg.): Welch ein Buch! Die Bibel als Weltliteratur. Stuttgart 1991, S. 52–78.
Zur philosophiegeschichtlichen Bedeutung dieser Sicht Emersons: Stanley Cavell: This New Yet Unapproachable America. Lectures After Emerson After Wittgenstein. Albuquerque, NM 1989.
Eine theologisch und motivgeschichtlich eindringliche Auslegung des Bildes von Gott als Autor findet sich in Joachim Ringleben: Gott als Schriftsteller: Zur Geschichte eines Topos. In: Oswald Bayer (Hg.): Johann Georg Hamann. ›Der hellste Kopf seiner Zeit‹. Tübingen 1998, S. 28–51.
Eine der frühesten und sorgfältigsten Analysen von Emersons Anti-Cartesianismus als Vorbereitung einer pragmatistischen Prozeßphilosophie findet sich in Charles Feidelson: Symbolism and American Literature. Chicago 1953, S. 127–130.
Der Begriff und das Konzept des nomadischen Denkens finden sich in Emersons Essay History. Nietzsche hat das Wort und die Sache hier aufgenommen und zitiert. Deleuze — wie auch andere — hat diese Verbindung in seinen Nietzsche-Deutungen nicht bemerkt. Vgl. dazu Gilles Deleuze: Normal Thought. In: David B. Allison (Hg.): The New Nietzsche. Cambridge, MA 1985, S. 142–149.
Die beiden grundlegenden Arbeiten zum Topos sind Ernst Robert Curtius: Schriftund Buchmetaphorik in der Weltliteratur. In: DVjs 20 (1942), H. 4, S. 359–411
und Erich Rothacker: Das »Buch der Natur«. Materialien und Grundsätzliches zur Meta pherngeschichte. Bonn 1979. Während Curtius vor allem am Fortleben der Antike interessiert ist und in seiner historischen Untersuchung schon Goethe nicht mehr berücksichtigt, liest Rothacker zwar den ideengeschichtlichen Wandel bis über die Romantik hinaus als Kontext genauer mit, hat jedoch zur entschiedenen Veränderung der Metaphorik bei Emerson, der nur einmal unzureichend zitiert wird, nichts zu sagen.
George Kateb: Emerson and Self-Reliance. Thousand Oaks, CA 1995, S. 1–12.
Zu Hamann und Emerson siehe Gustaaf Van Cromphout: Emerson’s Ethics. Columbia, MO 1999, S. 149f.
Übereinstimmung und Differenz in Ontologie und Poetik von Emerson und Dickinson diskutiert: Herwig Friedl: Eine religiöse Kehre: Denken und Dichten im amerikanischen Transzendentalismus von Emerson bis Dickinson. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 35 (1994), S. 253–273.
The Complete Poems of Emily Dickinson. Hg. von Thomas H. Johnson. Boston 1957, S. 633.
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Friedl, H. (2002). Der Schriftzug der Natur: Ralph Waldo Emersons essayistisches Denken. In: Borsò, V., Cepl-Kaufmann, G., Reinlein, T., Schönborn, S., Viehöver, V. (eds) Schriftgedächtnis — Schriftkulturen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02870-9_26
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02870-9_26
Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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Online ISBN: 978-3-476-02870-9
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