Zusammenfassung
Die medientheoretische Diskussion in den Kulturwissenschaften wurde in den letzten Jahren weitgehend von der positiven Adaption der bereits in den sechziger Jahren von Eric Havelock, Marshall McLuhan, Walter J. Ong und Jack Goody formulierten Literalitätsthese geprägt, die davon ausgeht, daß die phonetische Alphabetschrift und die durch sie konstituierte Schriftlichkeit nicht nur die Herkunft der abendländischen Rationalität prägte, sondern ihre Wirkungsmacht auch bis in die rezenten sozialen und politischen Ordnungen hinein ausübt.1 Eine umfangreiche ethnographische Literatur konnte in jüngerer Zeit jedoch zeigen, daß sich viele der als spezifische Merkmale der Literalität reklamierten sprachlichen und kognitiven Eigenschaften auch in den Diskursen oraler Kulturen finden.2 Dies führte zu einer Kritik an den Implikationen der »starken Literalitätsthese«, die in der Forschung unter dem Begriff der »great divide« diskutiert wird.3 Vor allem zwei Annahmen erweisen sich vor diesem Horizont als revisionsbedürftig: die These von einer strikt dichotomischen, mit qualitativen Merkmalen belegten Abgrenzung von Oralität und Literalität sowie die damit verknüpfte Hypothese, daß oralen und literalen Kulturen je spezifische Formierungen des Bewußtseins und der Mentalitäten zuzuordnen seien.
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Notizen
Vgl. hierzu u.a. Eric A. Havelock: Preface to Plato. Cambridge/Mass. 1963; Ders.: Schriftlichkeit. Das griechische Alphabet als kulturelle Revolution. Mit einer Einleitung von Aleida und Jan Assmann. Weinheim 1990;
Claude Lévi-Strauss: La Pensée Sauvage. Paris 1962; dt. Das Wilde Denken. Frankfurt/M. 1968;
Marshall McLuhan: The Gutenberg Galaxy. Toronto 1962;
Ernst Mayr: Animal Species and Evolution. Harvard 1963;
Walter J. Ong: Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Opladen 1987;
Jack Goody/Ian Watt: Entstehung und Folgen der Schriftkultur. Mit einer Einleitung von Heinz Schlaffer. Frankfurt/M. 1986
und Jacques Derrida: De la grammatologie. Paris 1967.
Vgl. hierzu vor allem die folgenden Arbeiten: Jan Vansina: Oral Tradition. A Study in Historical Methodology. Middlesex/Victoria 1973;
Richard Bauman/Joel Sherzer (Hg.): Explorations in the Ethnography of Speaking. Cambridge 1974;
Sylvia Scribner/Michael Cole: The Psychology of Literacy. Cambridge/Mass. 1981;
Kathrin Jordan Au/C. Jordan: Teaching reading to Hawaiin children: finding a culturally appropriate solution. In: Henry Trueba/Grace Guthrie (Hg.): Culture and the bilingual classroom. Studies in classroom-ethnography. Massachusetts 1981, S. 139–152;
Brian Street: Literacy in Theory and Practice. Cambridge 1984;
Wallace Chafe: Linguistic Differences producted by Differences between Speaking and Writing. In: David Olson/Nancy Torrance (Hg.): Literacy and Orality. Cambridge 1985, S. 105–123;
Peter Koch/Wulf Oesterreicher: Sprache der Nähe — Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. In: Romanistisches Jahrbuch 36 (1985), S. 15–43;
Elfrieda Hiebert/C. Fisher: Task and talk structures that foster literacy. In: Dies. (Hg.): Literacy for a diverse society. Perspectives, practices and policies. New York 1991, S. 141–156 und Carol Fleisher Feldman: Oral metalanguage. In: Olson/Torrance: Literacy and Orality, S. 47–65.
Vgl. dazu ausführlich Jens Brockmeier: Literales Bewußtsein. Schriftlichkeit und das Verhältnis von Sprache und Kultur. München 1998.
Der Terminus, nicht jedoch die Charakterisierung ist Goody/Watt: Entstehung und Folgen der Schriftkultur, S. 30, entlehnt. In seiner Antwort auf die Kritik der »great divide« explizierte Jack Goody diesen Terminus allerdings in einer Weise, die der hier vorgetragenen Argumentation sehr nahe steht: »I do not think Street has altogether understood our use, albeit loose, of the term restricted in relation to literacy. Watt and I employed it in three ways: first, in relation to systems of writing that do not utilize the full technical possibilities of, for example, an alphabetic system; second, to indicate those systems in which literacy was used in restricted rather than general contexts, for example, predominantly in religious settings; and third, where literacy was restricted to specific social groups or individuals.« Jack Goody: The Power of the Written Tradition. Washington, London 2000, S. 4.
Zum Begriff der »zerdehnten Situation« vgl. Konrad Ehlich: Text und sprachliches Handeln. Die Entstehung von Texten aus dem Bedürfnis nach Überlieferung. In: Aleida Assmann u.a. (Hg.): Schrift und Gedächtnis. Archäologie der literarischen Kommunikation. München 1983, S. 24–43.
Zum Begriff des »kulturellen Gedächtnisses« vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992 und Jacques Derrida: De la grammatologie.
Seit dem Ende der antiken Lesekultur im 5., spätestens aber im 6. Jahrhundert, seit dem Verfall der Laienbildung unter den Merowingern, dem Untergang der gallischen Rhetorik- und Grammatikschulen befand sich die Ausbildung in den Fertigkeiten des Lesens und Schreibens fest in den Händen der römisch-katholischen Kirche; vgl. dazu auch Josef Fleckenstein: Die Bildungsreform Karls des Großen. Bigge/Ruhr 1953, S. 60
und Elisabeth Feldbusch: Geschriebene Sprache. Untersuchungen zu ihrer Herausbildung und Grundlegung ihrer Theorie. Berlin, New York 1985, S. 205.
Daß die Literalisierung aber auch innerhalb der literalen Insel des Klerus begrenzt blieb, dazu vgl. u.a. Rolf Engelsing: Analphabetentum und Lektüre. Zur Sozialgeschichte des Lesens in Deutschland zwischen feudaler und industrieller Gesellschaft. Stuttgart 1973;
Michael T. Clanchy: From Memory to Written Record: England 1066–1307. Cambridge/Mass. 1979;
Utz Maas: Lesen — Schreiben — Schrift. Die Demotisierung eines professionellen Arkanums im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. In: LiLi 59 (1985), S. 55–81. Der klerikale Nachwuchs wurde in den Episkopal- und Klosterschulen ausgebildet, die Laien hingegen — zu denen auch die Herrscher und Oberschichten gehörten — blieben bis auf wenige Ausnahmen Analphabeten;
vgl. hierzu etwa Joachim Bumke: Höfische Kultur, Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 2 Bde., München 1986, Bd. 2, S. 602ff. Zwar begannen sich diese kompliziert ausbalancierten Gewichte ab dem 12./13. Jahrhundert zu verschieben, keineswegs aber führte die deutliche Ausweitung des Schriftgebrauchs zu einer grundsätzlichen Umstrukturierung des begrenzt literalen Kommunikationssystems;
vgl. dazu ausführlich Cornelia EppingJäger: Die Inszenierung der Schrift. Der Literalisierungsprozeß und die Entstehungsgeschichte des Dramas. Stuttgart 1996, S. 59–190.
Vgl. etwa Hugo Kuhn: Versuch über das 15. Jahrhundert in der deutschen Literatur. In: Ders.: Entwürfe zu einer Literatursystematik des Spätmittelalters. Tübingen 1980, S. 77–101, der selbst die durch die Technologie des Buchdrucks innovierten Formen des Wissenserwerbs als bestenfalls quantitative Verstärkung längst vorhandener Strukturen deutete.
Vgl. Jan Assmann: Artikel ›Schrift‹. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. 11 Bde. Hg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Darmstadt 1992, Bd. 8, Sp. 1417–1431.
Michael Giesecke: ›Volkssprache‹ und ›Verschriftlichung des Lebens‹ im Spätmittelalter — am Beispiel der Genese der gedruckten Fachprosa in Deutschland. In: Hans Ulrich Gumbrecht (Hg.): Literatur in der Gesellschaft des Spätmittelalters. Heidelberg 1980, S. 39–70, hier S. 50.
Vgl. etwa Clanchy: From Memory to Written Record, und Horst Wenzel: Sehen und Hören, Schrift und Bild. Kultur und Gedächtnis im Mittelalter. München 1995.
Niklas Luhmann: Einfache Sozialsysteme. In: Zeitschrift für Soziologie I (1972), S. 51–65.
Vgl. Helmut Glück: Schrift und Schriftlichkeit. Eine sprach- und kulturwissenschaftliche Studie. Stuttgart 1987, S. 183, dessen Begriff und Explikation der »Hypoliteralität« hier übernommen wird. Allerdings definiert Glück mit diesem Terminus kein systemisches Übergangsstadium des Literalisierungsprozesses, sondern charakterisiert mit diesem Begriff das kommunikative Verhalten gegenwärtiger Kulturen, beispielsweise das andalusischer Bauern.
Zum Begriff der »drei echten Naturformen der Poesie« — Epik, Lyrik und Drama — vgl. Goethes Werke. Hg. von Erich Trunz. Bd. 2. Hamburg 1962, S. 187. Auf diese Trias gründet sich die normativ anthropologische Bestimmung der »Naturform Drama«; vgl. Emil Ermatinger: Die Kunstform des Dramas. Leipzig 1925;
Emil Staiger: Grundbegriffe der Poetik. Zürich 1946
und Klaus Scherpe: Gattungspoetik im 18. Jahrhundert. Historische Entwicklung von Gottsched bis Herder. Stuttgart 1968.
Zur Kritik dieses Typus von Gattungstheorie vgl. Wilhelm Voßkamp: Literarische Gattungen und literaturgeschichtliche Epochen. In: Helmut Brackert/Jörn Stückrath (Hg): Literaturwissenschaft Grundkurs 2. Reinbek 1981, S. 51–74, der hier bereits die literarischen Gattungen als historisch bedingte Kommunikations- und Vermittlungsformen zu bestimmen versucht.
Das Drama der Hypoliteralität — vor allem aber, wie später gezeigt wird, das Drama des Hans Sachs — orientiert sich nicht an den ästhetisch-normativen Kriterien des 18. Jahrhunderts, sondern an letztlich kommunikativen Kriterien. Es ist allein der Horizont möglichen Verstehens durch das ins Auge gefaßte Publikum, der hier formgebend wirkt. Unsere Annahme, daß Gattungen in einer Kultur der Hypoliteralität als Kommunikationsformen fungieren, wird durch eine von Eberhard Lämmert bereits vor mehr als dreißig Jahren formulierte Beobachtung gestützt. In seiner Analyse der Teichnerreden machte dieser zu recht darauf aufmerksam, daß die Klassifizierung nach Gattungen mit der nach Stoffbereichen bis zu einem gewissen Grade austauschbar sei. Der Grund dafür liege in der »ungewöhnlich breiten Streuung und Subordination gattungsfähiger Konventionsformen unter andere, gattungsindifferente Dichtungszwecke«. Daher, so Lämmert, müsse man nicht von einer literarischen Verbindlichkeit, sondern eher von einer Gattungs-Hohlform ausgehen; vgl. Eberhard Lämmert: Reimsprecherkunst im Spätmittelalter. Eine Untersuchung der Teichnerreden. Stuttgart 1970, S. 203.
Ist im folgenden von »sinnentnehmender/individueller Lektüre« die Rede, dann ist ein Modell des Lesens angesprochen, das von Wolfgang Iser wie folgt formuliert wurde: »Bedeutungen literarischer Texte werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt einer Interaktion von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen. Generiert der Leser die Bedeutung des Textes, so ist es nur zwangsläufig, wenn dieser in einer je individuellen Gestalt erscheint.« Wolfgang Iser: Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa. Konstanz 1974, S. 7. — Hier wird deutlich, daß dieses Modell an eine Kultur entwickelter Literalität gebunden ist, da die Vorstellung eines die Leerstellen des Textes auffüllenden Lesers einer Kultur der Hypoliteralität fremd war.
Vgl. in diesem Zusammenhang Erich Schön: Der Verlust der Sinnlichkeit oder Die Verwandlungen des Lesers. Mentalitätswandel um 1800. Stuttgart 1987.
Lucian Hölscher hat gezeigt, daß dieser Begriff im 16. Jahrhundert nicht als Eigenbeschreibung verwendet wurde. Die Zeitgenossen griffen vielmehr auf Bezeichnungen wie ›gemein volck‹, ›gemaind‹, aber auch auf Sammelbezeichnungen wie ›Stadtvolk‹ zurück. Vgl. Lucian Hölscher: Öffentlichkeit und Geheimnis. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit. Stuttgart 1979, S. 83ff. — Wenn wir hier gleichwohl von einem volkssprachlichen Publikum sprechen, das sich zögernd und nur im Rahmen volkssprachlicher Literaturpraxis herausbildet, dann hat das einen heuristischen Grund: Die Kategorie »Publikum« hat als ex-postKategorie die Funktion, einen Prozeß darstellbar zu machen, der allererst im 18. Jahrhundert seinen Abschluß findet, sich im 16. Jahrhundert doch bereits in konstitutiver Weise anbahnt.
Die einzelnen Dramen werden, worauf Hans Sachs mit einer extra beigefügten Datierung aufmerksam macht, häufig in wenigen Tagen fertiggestellt; vgl. Dorothea Klein: Bildung und Belehrung. Untersuchungen zum Dramenwerk des Hans Sachs. Stuttgart 1988, S. 137f.
Vgl. etwa Eckehard Catholy: Das deutsche Lustspiel. Vom Mittelalter bis zum Ende der Barockzeit. Stuttgart, Berlin 1968, S. 50;
Hans Rupprich: Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock. 1. Teil: Das ausgehende Mittelalter, Humanismus und Renaissance (1370–1520). München 1970, S. 341
und vor allem Max Wehrli: Geschichte der deutschen Literatur vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Stuttgart 1980 (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart 1), S. 1056ff. Demgegenüber stellen die Arbeiten von Brunner und Klein positive Ausnahmen dar, wenngleich auch sie die hypoliterale Geprägtheit des Werkes nicht erkennen.
Vgl. Horst Brunner: Hans Sachs 1494–1576. In: Wilhelm Buhl (Hg.): Fränkische Klassiker. Eine Literaturgeschichte mit 255 Abbildungen. Nürnberg 1971, S. 264–278; Ders.: Die alten Meister. Studien zur Überlieferung und Rezeption der mittelhochdeutschen Sangspruchdichtung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. München 1975; Ders. u.a. (Hg.): Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und Probleme reichsstädtischer Literatur. Hans Sachs zum 400. Todestag am 19. Januar 1976. Nürnberg 1976 und Ders.: Meistergesang und Reformation. Die Meistergesangbücher 1 und 2 des Hans Sachs. In: Ludger Grenzmann/Karl Stackmann (Hg): Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Stuttgart 1984, S. 732–742 und Klein: Bildung und Belehrung.
Vgl. Hans-Georg Gadamer: Die Aktualität des Schönen. Kunst als Spiel, Symbol und Fest. Stuttgart 1977, S. 15.
Dazu, daß die Kategorie des »Genialen«, deren Fehlen dem Sachsschen Werk ja häufig zum Vorwurf gemacht wird, an keiner Stelle in den Horizont zeitgenössisch poetologischer Reflexionen rückt, vgl. Bruno Boesch: Die Kunstanschauung in der mittelhochdeutschen Dichtung von der Blütezeit bis zum Meistergesang. Hildesheim 1976 (reprograf. Nachdruck von 1936),
sowie Fritz Tschirch: Das Selbstverständnis des mittelalterlichen Dichters. In: Ders.: Spiegelungen. Untersuchungen vom Grenzrain zwischen Germanistik und Theologie. Berlin 1966.
Jerzy M. Lotman: Die Struktur des künstlerischen Textes. Hg. mit einem Nachwort und einem Register von Rainer Grübel. Frankfurt/M. 1973; Tschirch: Das Selbstverständnis des mittelalterlichen Dichters, S. 432ff.
Vgl. W. Besch: Schriftsprache und Landschaftssprachen im Deutschen. Zur Geschichte ihres Verhältnisses vom 16.–19. Jahrhundert. In: RVJ 43 (1979), S. 323–243; Giesecke, ›Volkssprache‹ und ›Verschriftlichung des Lebens‹;
Ernst Bremer: Zum Verhältnis von geschriebener und gesprochener Sprache im Frühneuhochdeutschen. In: Werner Besch u.a. (Hg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Berlin 1985, Bd. 1.2, S. 1379–1388;
Frederic Hartweg: Die Rolle des Buchdrucks für die frühneuhochdeutsche Sprachgeschichte. In: Besch u.a. (Hg.): Sprachgeschichte, Bd. 1.2, S. 1415–1434 und Peter von Polenz: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. 1. Berlin, New York 1991.
Vgl. Monika Rössing-Hager: Wie stark findet der nicht-lesekundige Rezipient Berücksichtigung in den Flugschriften. In: Hans Joachim Köhler (Hg.): Flugschriften als Massenmedium der Reformationszeit. Stuttgart 1981, S. 77–137.
Hier wird deutlich, daß die Gattungsbezeichnung bei Sachs noch nicht jene normative Geltung beansprucht, die sie allererst im 17. Jahrhundert — bei Opitz etwa — gewinnt: »Die Tragödie behandelt erschütternde Ereignisse, die Komödie private Angelegenheiten. Die Tragödie handelt von Königen und Fürsten, die Komödie von niedrig gestellten, privaten Personen.« Vgl. Karl A. Schildt: Die Bezeichnung der deutschen Dramen von den Anfängen bis 1740. Gießen 1925 (Neudruck Amsterdam 1968), S. 7.
Zu der Form des neulateinischen Dramas vgl. Rupprich: Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock, S. 316. Daß Hans Sachs über mehr als eine nur oberflächliche Kenntnis dieser Dramenform verfügte, darauf verweisen Schildt: Die Bezeichnung der deutschen Dramen, S. 14ff. und Ingeborg Glier: Die ›Dramen‹ des Hans Sachs. Wandlungen des frühen deutschen Theaters. In: Victor Lange/Hans-Gert Roloff: Dichtung — Sprache — Gesellschaft. Akten des IV. Internationalen Germanistenkongresses 1970 in Princeton. Frankfurt/M. 1970, S. 235–242, hier S. 236.
Die Akteinteilung war dem volkssprachlichen Spiel bis dahin fremd, dürfte sich aber der Sachsschen Bearbeitung von Reuchlins Menno verdanken; vgl. Wolfgang Michael: Das deutsche Drama des Mittelalters. Berlin, New York 1971, S. 331. »Reuchlin« — so formuliert Michael (ebd.) — »hatte als einziger unter den Humanisten seinem Drama Handlung gegeben«, woraus erhellt, daß der Henno nicht mehr auf einer Einortbühne aufgeführt werden konnte, denn nun mußten die verschiedenen Örtlichkeiten zumindest angedeutet werden.
Vgl. Helmut Krause: Die Dramen des Hans Sachs. Untersuchungen zu Lehre und Technik. Berlin 1979, S. 116
und Florentina Dietrich-Bader: Wandlungen der dramatischen Bauform vom 16. Jahrhundert bis zur Frühaufklärung. Untersuchungen zur Lehrhaftigkeit des Theaters. Diss. Göppingen 1972, S. 37.
Vgl. David P. Ausubel: The Use of Advance Organizers in the Learning and Retention of Meaningful. In: Journal of Educational Psychology 51 (1960), S. 267–272.
Vgl. Roman Ingarden: Das literarische Kunstwerk. 2. verb. und erw. Aufl. mit einem Anhang: Von der Funktion der Sprache im Theaterschauspiel. Tübingen 1960, S. 51, der das literarische Kunstwerk als ein schematisches Gebilde mit zahlreichen Unbestimmtheitsstellen charakterisiert, die durch den Leser im Akt des Lesens aufgefüllt und aktualisiert werden müssen: »Das literarische Kunstwerk ist ein schematisches Gebilde. Mindestens einige seiner Schichten enthalten in sich eine Reihe von Unbestimmtheitsstellen. Eine solche Stelle zeigt sich überall dort, wo man aufgrund der im Werk auftretenden Sätze von einem unbestimmten Gegenstand nicht sagen kann, ob er eine bestimmte Eigenschaft besitzt oder nicht […].« Dieses führt zu zwei Möglichkeiten des Lesens: zum einen bleibt die Unbestimmtheitsstelle bewußt unausgefüllt, um das Werk in seiner charakteristischen Struktur zu erfassen; gewöhnlich aber liest man anders: wir übergehen gewissermaßen die Unbestimmtheitsstelle als solche und füllen sie willkürlich mit Bestimmtheiten auf. Inwieweit die Vorstellung eines die Leerstellen des Textes auffüllenden Lesers an die Kultur entwickelter Literalität gebunden ist, macht Iser deutlich, der die individuelle Lektüre — jene Technik also, die der Hypoliteralität kaum bekannt war — als das wichtigste Element der Textsinn-Konstitution ansieht, da der Text erst durch die Lektüre zum Leben erweckt werde. »Bedeutungen literarischer Texte« — so formuliert Iser — »werden überhaupt erst im Lesevorgang generiert; sie sind das Produkt einer Interaktion von Text und Leser und keine im Text versteckten Größen. Generiert der Leser die Bedeutung des Textes, so ist es nur zwangsläufig, wenn dieser in einer je individuellen Gestalt erscheint.« Wolfgang Iser: Die Appellstruktur der Texte, S. 6ff.
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Epping-Jäger, C. (2002). Szenarien der Literalisierung. Formen intermedialer Kommunikation zwischen Oralität und Literalität. In: Borsò, V., Cepl-Kaufmann, G., Reinlein, T., Schönborn, S., Viehöver, V. (eds) Schriftgedächtnis — Schriftkulturen. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02870-9_12
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