Skip to main content

Die Geschichte der O oder die (Ohn-)Macht der Frauen: „Die Wahlverwandtschaften“ im Kontext des Geschlechterdiskurses um 1800

  • Chapter
  • First Online:
Goethe-Jahrbuch
  • 320 Accesses

Zusammenfassung

Als Goethes vielleicht modernstes Werk bietet sein Roman Die Wahlverwandtschaften ein äußerst skeptisches Bild einer sich modernisierenden Welt, die von einem katastrophalen doppelten Sinnverlust bedroht ist. Durch eine hintergründige Auseinandersetzung mit dem Thema Emanzipation im Sinne sowohl der sozialen Mobilität, die die Ständegesellschaft untenniniert, wie auch der sexuellen Befreiung, die die Ehe als Gnmdstein der Ordnung, die Geschlechtsverschiedenheit und die Vaterschaft als Garant persönlicher ldentität und damit die Kultur überhaupt zu zersetzen droht, rechnen Die Wahlverwandtschaften mit der Aufklärung und mit der aufkommenden Romantik ab — in einer Fortschrittskritik, die Horkheimers und Adornos Argument in Dialektik der Aufklärung vorwegnimmt. Schon aus Werther ging hervor, daß die aufgeklärte Partnerschaftsehe und die sinnlich-romantische Liebe einen schwer zu überbrückenden Gegensatz bilden. In den Wahlverwandtschaften stellt sich die Wahl zwischen vernünftiger Partnerschaft und romantischer Liebe nicht als eine Entscheidung für den einen oder den anderen sauber getrennten Lebensweg dar, sondem als die unsaubere Vermischung zweier Welten, die sich gegenseitig dekonstruieren. Aus dem Roman geht hervor, daß die romantische Utopie der Naturbefreiung ein radikales Weiterdenken aufklärerischer Freiheitsideale ist, das aber zu einer Aporie führt: Die befreite Natur wird vom Subjekt als Verlust der Autonomie erlebt, der zum Unvermögen führt, als Subjekt zu handeln. Im Romantitel, der die im Akt des Wählens implizite Freiheit mit der Automatik chemischer Affinität in einem Wort zusammenbindet, liegt die Aporie offen zutage.

Meinem Kollegen Gustav Frank, der freundlicherweise diesen Aufsatz durchgelesen hat, möchte ich meinen Dank aussprechen.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Institutional subscriptions

Preview

Unable to display preview. Download preview PDF.

Unable to display preview. Download preview PDF.

Notizen

  1. Ute Gerhard: Bürgerliches Recht und Patriarchat. In: Difjerenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht. Hrsg. von Ute Gerhard et al. Königstein/Taunus 1990, S. 188–204.

    Google Scholar 

  2. Friedrich Schlegel: Lucinde. Ein Roman. Hrsg. von Karl Konrad Polheim. Stuttgart 1963, rev. u. erw. Ausg. 1999, S. 17.

    Google Scholar 

  3. Ingeborg Drewitz: Iphigenie. Übeiprüfung einer Idee. In: dies.: Unter meiner Zeitlupe. Porträts und Panoramen. Wien 1984, S. 97–105; hier S. 104.

    Google Scholar 

  4. Karin Hausen: Die Polarisierung der Geschlechtscharaktere. Eine Spiegelung der Diuoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Sozialgeschichte derFamilie in derNeuzeit Eumpas. Hrsg. von Werner Conze. Stuttgart 1976, S. 363–393.

    Google Scholar 

  5. Ursula Vogel: Rationalism and romanticism: two strategies for women’s liberation. In: Feminism and Political Theory. Hrsg. von Judith Evans et al. London 1986, S. 17–46; hier S. 38.

    Google Scholar 

  6. Wilhelm von Humboldt: Uber den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organrsche Natur. In: Die Horen. Eine Monatsschrift. Hrsg. von Friedrich Schiller. Jg. 1795, Bd. 2. Darmstadt 1959, S. 215–248; hier S. 227.

    Google Scholar 

  7. Siehe John Prebble: The Highland Clearances. Harmondsworth 1969. Die erste Phase der Zwangsräumung der Bauern vom Lande fand 1782 bis 1820 statt.

    Google Scholar 

  8. Olympe de Gouges: Deklaration der Rechte der Frau und Bürgerin (1791). In: Schröder (Anm.11), S. 31–54.

    Google Scholar 

  9. De Gouges (Anm. 27), S. 41.

    Google Scholar 

  10. Johann Gottlieb Fichte: Grzsndlage des Naturrechts nach den Prinzipien der Wissenschaftskhre (1796). Hamburg 1960, S. 331.

    Google Scholar 

  11. Walter Benjamin: Goethes „Wahlverwandtschaften“. In: Johann Wolfgang Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Frankfurt/M. 1972, S. 255–333.

    Google Scholar 

  12. Siehe Gabrielle Bersier: Goethes Rätselparodie der Romantik: Eine neue Lesart der „Wahlverwandt schaften“. Tübingen 1997.

    Google Scholar 

  13. Elisabeth Bronfen: Die schöne Leiche. Weiblicher Tod als motivische Konstante von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Moderne. In: Weiblichkeit und Tod in der Literatur. Hrsg. von Renate Berger u. Inge Stephan. Köln, Wien 1987, S. 87–115; hier S. 91.

    Google Scholar 

  14. Anna Richards: Starving for Identity: Wasting Women in German Literature 1775–1820. In: German Life and Letten 50 (1997), Women’s Studies Special Number, S. 417–428.

    Article  Google Scholar 

  15. Friedrich Schiller: Die berühmte Frau. In: dtv-Gesamtausgabe. Bd. 1: Sämtliche Gedichte. Enter Teil. Hrsg. von Herbert G. Göpfert. München 31962, S. 157.

    Google Scholar 

Download references

Authors

Editor information

Jochen Golz Bernd Leistner Edith Zehm

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2002 Springer-Verlag GmbH Deutschland

About this chapter

Cite this chapter

Boa, E. (2002). Die Geschichte der O oder die (Ohn-)Macht der Frauen: „Die Wahlverwandtschaften“ im Kontext des Geschlechterdiskurses um 1800. In: Golz, J., Leistner, B., Zehm, E. (eds) Goethe-Jahrbuch. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02861-7_18

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02861-7_18

  • Published:

  • Publisher Name: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-7400-1195-6

  • Online ISBN: 978-3-476-02861-7

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics