Zusammenfassung
Goethes Italienische Reise gilt allgemein als epochale Marke der Weimarer Klassik. Einer einheitlichen Charakterisierung von Goethes Unternehmen steht aber die langwierige Textgeschichte von mehr als vierzig Jahren entgegen: Sie reicht von den Aufzeichnungen während der Reise über die frühen Auszüge aus einem Reise-Journal im Teutschen Merkur (1788/89) bis zur Reisebeschreibung aus dem Jahre 1816/17 als Teil des autobiographischen Projekts Aus meinem Leben. Ergänzt um den Zweiten Römischen Aufenthalt, erschien die Italienische Reise vollständig erst im Jahre 1829.
[…] zwischen Weimar und Palermo hab’ ich manche Veränderung gehabt.
(Goethe: Italienische Reise; Palenmo, 8. 4.1787)
Vortrag in der Arbeitserutvoe Literarische Gestaltuneen von Italienreisen vor und nach Goethe.
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Notizen
So relativierte man sogar die Zuordnung zur Reisebeschreibung, da die Italienische Reise auch als Autobiographie, Italiendichtung, Bildungsroman oder „autobiographischer Roman“ zu lesen sei; vgl. Jörg-Ulrich Fechner: „zugleich völlig wahrhaft und ein anmutiges Märchen“: Goethes „Italienische Reise“ — keine Reisebeschreibung! In: „Italienische Reise“— Reisen nach Italien. Hrsg. von Italo Michele Battafarano. Trient 1988, S. 231–255, sowie Ita10 Michele Battafarano: Die im Chaos blühenden Zitronen. Identität und Alterität in Goethes „Italienischer Reise“. Bern u. a. 1999; bes. S. 12 bis 21. Zu Goethes Uberarbeitung seiner Reiseaufzeichnungen siehe Melitta Gerhard: Die Redaktion der „Italienischen Reise“ im Lichte von Goethes autobiographischem Gesamtwerk. In: Jb. des Freien Deutschen Hochstifts 1930, S. 131–150. Einen guten Uberblick über die Textgeschichte gibt Stefan Oswald: Italienbilder. Beiträge zur Wandlung der deutschen Italienauffassung 1770–1840. Heidelberg 1985, S. 88–106 (Goethe in Italien — eine Reise und ihre Fassungen).
Vgl. Reiner Wild: „Italienische Reise“: In: Goethe-Handbuch, Bd. 3, S. 331–369; hier S. 368. Zwar haben die Kommentatoren die Italienische Reise auf Parallelstellen in Goethes wichtigsten Reiseführern (Johann Wilhelm Archenholtz, Johann Jacob Volkmann, Johann Hermann von Riedesel) bezogen, doch bislang keineswegs systematisch mit den Diskursmustern und Topiken vorgängiger und späterer italienischer Reisen verglichen. Auch Peter J. Brenner: Der Reisebericht in der deutschen Literatur. Ein Forschungsüberblick als Vorstudie zu einer Gattungsgeschichte. Tübingen 1990, S. 286, wirft der Goethe-Philologie vor, die „reisegeschichtlichen und literarhistorischen Zusammenhänge [der Italienischen Reise] […] weitgehend ignoriert“ zu haben.
Vgl. Wilhelm Waetzold: Die Kulturgeschichte der ltalienreisen. In: Preußische Jbb. 230 (1932), S. 13 bis 24, und Joachim Wieder: Vom deutschen Italienerlebnis. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte der Italienreisen. In: Nisus in librornum nitore. Fs. für Werner Goebel zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Max Leonhard. München 1980, S. 132–172; hier S. 167. Trotz mancher Reserven übernehmen Gunter E. Grimm, Ursula Breymayer und Walter Erhart: „Ein Gefühl von freierem Leben“. Deutsche Dichter in Italien. Stuttgart 1990, S. 14, die Typologie von Waetzold/Wieder.
Vgl. Joseph Strelka: Der literarische Reisebericht In: Jb. für Internationale Germanistik 3 (1971), S. 63 bis 75; hier S. 64.
So gehört die Kritik am italienischen Katholizismus wie am römischen Papsttum zum topischen Arsenal der Informationsreise — exemplarisch genannt sei nur Karl Philipp Moritz: Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788. 3 Bde. Berlin 1792–93; vgl. dazu Oswald (Anm. 1), S. 34–36. Die Tradition der aufklärerischen Religionskritik wirkt noch in Heines Stadt Lucca fort; vgl. Klaus Pabel: Heines „Reisebilder“. Ästheti.sches Bediirfriis und politi.sches Interesse am Ende der Kunstperiode. München 1977, S. 209–230, und Kay Kufeke: Himmel und Hölle in Neapel. Mentalität und diskursive Praxis deutscher Neapelrei.sender um 1800. Köln 1999; bes. S. 253–255.
Nach Karol Sauerland: Der Übergang der gelehrten zur aufklärerischen Reise im Deutschland des 18., jahrhunderts. In: Virtus et Fortuna. Zurdeutschen Literaturzwischen 1400 und 1720. Fs. für HansGert Roloff zu seinem 50. Geburtstag. Hrsg. von Joseph P. Strelka u. Jörg Jungmayr. Bern, Frankfurt a. M., New York 1983, S. 557–570; hier S. 561, ist der „Bezug auf zuvor erschienene Reisewerke“ ein Charakteristikum der,gelehrten Reise. Kritisch dazu Brenner (Anm. 2), S. 153 f. Albert Meier: Als Moralist in Italien. Johann Caspar Goethes „ Viaggio per l’Italia fatto nel anno MDCCXL“: In: Europaisches Reisen im Zeitalter der Aufklärung. Hrsg. von Hans-Wolf Jäger. Heidelberg 1992, S. 71–85; bes. S. 85, identifiziert diese Reise mit der ,aufklärerischen Reise‘ und stellt ihr Johann Wolfgang Goethes angeblich ,romantische Reise‘ gegenüber.
Vgl. dazu William E. Stewart: Die Reisebeschreibung und ihm Theorie im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Bonn 1978, S. 43. Stewart registriert zwar die „autoptische“ Reisebeschreibung, erklärt sie aber grob vereinfachend als Reaktion auf die „Wissenschaftsorthodoxie“ und verkennt damit das Nebeneinander der konkurrierenden Beschreibungstypen. In der Forschung herrscht noch immer die Meinung vor, der Typus der Informationsreise sei mit der Aufldärungsreise gleichzusetzen; vgl. etwa Hans Erich Bödeker: Reisen: Bedeutung und Funktion für die deutsche Aufklärungsgesellschaft. In: Reisen im 18. Jahrhundert. Neue Untersuchungen. Hrsg. von Wolfgang Griep u. Hans-Wolf Jäger. Heidelberg 1986, S. 91–110. Wenn Hans Erich Bödeker: Reisebeschreibungen im historischen Diskurs der Aufklärung. In: Aufklürung und Geschichte. Hrsg. von Hans Erich Bödeker u. a. Göttingen 1986, S. 276–298, die wahrnehmungsgeschichtlichen Veränderungen rekonstruiert, vermerkt er aber die „Subjektivierung“ und „Pluralität von Standpunkten“ und erkennt sogar ihre Bedeutung für die Entwicklung eines Geschichtsbewußtseins an (ebd., S. 294). Auch Albert Meier: Textsorten-Dialektik. Überlegungen zur Gattungsgeschichte des Reiseberichts im späten 18. Jahrhundert. In: Neue Impulse der Reiseforschung. Hrsg. von Michael Maurer. Berlin 1999, S. 237–245; hier S. 241, pluralisiert den aufklärerischen Reisediskurs und betont die Subjektivierung.
Vgl. Gerhard Sauder: Sternes „Sentimental Journey“ und die „empfindsamen Reisen“ in Deutschland. In: Reise und soziale Realität am Ende des 18. Jahrhunderts. Hrsg. von Wolfgang Griep u. HansWolf Jäger. Heidelberg 1983, S. 302–319. Peter Michelsen: Laurence Sterne und der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts. Göttingen 21972, S. 76–101, hat die deutschen empfindsamen Reisen in der Nachfolge Sternes zusammengestellt, ohne aber reine Reisebeschreibungen zu verzeichnen. Die empfindsamen Inspirationsreisen sind ein Komplement der Informationsreise und stellen nicht, wie Brenner (Anm. 2), S. 190, meint, „einen Gegentypus zur aufklärerischen Reisebeschreibun? dar.
Vgl. Ralph-Rainer Wuthenow: Erfahrene Welt. Europäische Reiseliteratur im Zeitalter der Aufklärung. Frankfurt a. M. 1980, S. 269.
Wilhelm Heinse: Tagebuch von der italiänischen Reise, den 2. August [1783]. In: Sämmtliche Werke. Hrsg. von Carl Schüddekopf. Bd. 7: Tagebücher von 1780 bis 1800. Leipzig 1909, S. 190 f. — Oswald (Anm. 1), S. 21–27, weist auf die Heterogenität der Tagebuchaufzeichnungen hin, die zwischen Informations- und Insoirationsreise chaneieren.
Alben Meier: Von der enzyklopädischen Studienreise zur ästhetischen Bildungsreise. Italienreisen im 18. Jahrhundert. In: Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Hrsg. von Peter J. Brenner. Frankfurt a. M. 1989, S. 284–305; hier S. 287.
Vgl. Friedrich Johann Lorenz Meyer: Darstellungen aus Italien. Berlin 1792, S. V (Hervorhebungen; A. A.).
Vgl. Albert Meier: Art. Volkmann. In: Literatur Lexikon. Hrsg. von Walther Killy. Bd. 12. Gütersloh, München 1992, S. 56 f.
„Gewiß, es wäre besser, ich käme gar nicht wieder, wenn ich nicht wiedergeboren zurückkommen kann“ (HA 11, S. 217). Die leitmotivische Bedeutung von „Wiedergeburt“ und „Neuem Leben“ erhellt Klaus H. Kiefer: Wiedergeburt und Neues Leben. Aspekte des Strukturwandels in Goethes „Italienischer Reise“: Bonn 1978; den wirkungsgeschichtlichen Aspekt beleuchtet Peter Sprengel: Nachwort. In: Johann Wolfgang von Goethe: „Italienische Reise“: Hrsg. von Peter Sprengel. München 1986, S. 518–552; hier S. 550f.
Die intertextuellen Bezüge zu Homer in der Italienischen Reise sind recht gut erschlossen. Den Weg weisen Albert Meier: Seekranke Betrachtungen auf der Königin der Inseln. J. W. Goethes Sizilienerfahnsng im Zusammenhang der „Italienischen Reise“. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift N. F. 39 (1989), S. 180–195, Sprengel (Anm. 25), S. 547 f., ders.: Sizilien als Mythos. Das Sizilienbild in Goethes „Italienischer Reise“. In: Ein unsäglkh schönes Land. Goethes „Italienische Reise“und der Mythos Siziliens / Un paese indiczbilmente bello. 11 „Viaggio in Italia“di Goethe e il mito della Sicilia. Hrsg. von Albert Meier. Palermo 1987, S. 158–179, und Battafarano (Anm. 1); bes. S. 31–37 (Eine homerische Reise nach Arkadien) u. S. 190–194, sowie Norbert Miller: Der Wanderer. Goethe in Italien. München 2002, S. 284 ff. (Homerische Haushaltung) u. pass. Dabei verweisen die Homer-Bezüge nicht nur auf das Nausikaa-Projekt (vgl. unten im Text), sondern fundieren das Sizilienerlebnis, wie folgende Zitate illustrieren: „das alles rief mir die Insel der seligen Phäaken in die Sinne sowie ins Gedächtnis. Ich eilte sogleich, einen Homer zu kaufen, jenen Gesang mit großer Erbauung zu lesen und eine Übersetzung aus dem Stegreif Kniepen vorzutragen“ (HA 11, S. 241); „Homerische Schreckbilder“ (HA 11, S. 290); „Was den Homer betrifft, ist mir wie eine Decke von den Augen gefallen“ (HA 11, S. 323). Auch in den mythologischen Referenzen und Allusionen erweist sich die Odyssee als zentraler Subtext: „Einladung des Zyklopen“ (HA 11, S. 307), „Odysseus“ (ebd.), „Skylla“ und „Charybdis“ (HA 11, S. 313), „Ulysses“ (HA 11, S. 344).
Gustav Nicolai: Italien wie es wirklich ist. Bericht über eine merkwürdige Reise in den hesperischen Gefilden, als Warnungsstimme für Alle, wekhe sich dahin sehnen. 2 Theile. Leipzig 1834,1. Theil, S. 3 f.
Vgl. Joachim Wieder: „Italien wie es wirklich ist“. Eine stürmische Polemik aus der Geschichte der deutschen Italienliteratur. In: Fs. für Luitpold Dussler. 28 Studien zurArchriologie und Kunstgeschichte. Hrsg. von J. A. Schmoll gen. Eisenwerth. München 1972, S. 317–333. Die Polemik um Nicolais Italienreise ist bislang noch nicht systematisch gewürdigt worden. Ansätze dazu bei Italo Michele Battafarano: L’Italia ir-reale. Antropologia e paesaggio peninsulare nella cultura tedesca (1649–1879). Trient 1992, S. 119–152, und Oswald (Anm. 1), S. 142–147.
Ernst Willkomm: Italienische Nächte. Reiseskizzen und Studien. 2 Bde. Leiozig 1847. S. VI.
Adolf Stahr: Ein jahr in Italien. 3 Bde. Oldenburg 3 1863–1865; hier Bd. 2, S. 143–147.
Vgl. Timm Menke: Die italienische Reise als Schwanengesang auf die alte Welt: Hans Henny Jahnn und Arno Schmidt in Rolf Brinkmanns „Rom, Blicke“. In: Reisen, Entdecken, Utopien. Untersuchungen zum Alteritätsdiskurs im Kontext von Kolonialismus und Kulturkritik. Hrsg. von Anil Bhatti u. Horst Turk. Bern u. a. 1998, S. 103–111; bes. 110 f., wo ein Goethe-Zitat Brinkmanns erläutert wird.
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Aurnhammer, A. (2004). Goethes „Italienische Reise“ im Kontext der deutschen Italienreisen. In: Frick, W., Golz, J., Zehm, E. (eds) Goethe-Jahrbuch. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02860-0_9
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