Zusammenfassung
Wir sind es heute gewohnt, wie beispielsweise die Rede von »Recht und Moral« zeigt, das »Recht« als eine eigenständige Sphäre zu behandeln, die von der Sphäre der Moral mehr oder weniger unabhängig ist. Die Eigenständigkeit der Sphären schließt nicht aus, dass man die Sphären aufeinander zu beziehen sucht und etwa die Rückbindung des Rechts an moralische Grundsätze fordert oder unter Verweis auf ihre Ordnungsleistung die moralische Relevanz einer bestehenden Rechtsordnung geltend macht. Die möglichen Beziehungen zwischen Recht und Moral, für wie wichtig man sie auch halten mag, werden aber für die jeweiligen Sphären nicht als konstitutiv erachtet. Zugespitzt formuliert: Recht kann unabhängig von der Moral sein, und die Moral bedarf ihrerseits auch nicht des Rechts. Dabei wird die Eigenständigkeit des »Rechts« gegenüber der »Moral« etwa unter dem Gesichtspunkt einer positiv verstandenen »Entmoralisierung des Rechts« vielfach als Errungenschaft gesehen, und als ein maßgeblicher Wegbereiter dieser Errungenschaft wird oftmals Kant mit seiner Unterscheidung zwischen Rechts- und Tugendlehre ausführt.
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Notizen
Dies ist ein Aspekt, der zu Recht hervorgehoben wird von Richard Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant (1973), Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2. akt. Aufl. 1994.
Einen Überblick über Interpretationen von Kants Auffassung des Verhältnisses von »Recht« und Moralphilosophie bieten Wolfgang Kersting, Wohlgeordnete Freiheit. Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie, Berlin: de Gruyter 1984, ich zitiere nach der Taschenbuchausgabe Frankfurt/M.: Suhrkamp 1993, siehe dort S. 134–151
Kristian Kühl, Eigentumsordnung als Freiheitsordnung. Zur Aktualität der Kantischen Rechts- und Eigentumslehre, Freiburg/München: Alber 1984, 51–73
Siehe auch die Hinweise bei Gerd-Walter Küsters, Kants Rechtsphilosophie, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1988.
Ebd. 190–192; siehe auch W. Kersting, »Das starke Gesetz der Schuldigkeit und das schwächere der Gütigkeit« (1982), in: ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend. Abhandlungen zur praktischen Philosophie der Gegenwart, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997, 74–120, 102 f. — Vermutlich war in Zusammenhang mit dieser These auch die weitere (im Anschluss an Gertrud Scholz vertretene) These Kerstings zu sehen, nämlich dass das Rechtsgesetz nach Kant kein kategorischer Imperativ sei (Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, 103–105.
Siehe Gertrud Scholz, Das Problem des Rechts in Kants Moralphilosophie, Diss. Köln 1972, 38–45).
Diese These hat Kersting später aufgrund der Kritik von Oberer und B. Ludwig ausdrücklich zurückgenommen; es fragt sich aber, ob er auch die normlogischen Konsequenzen dieser Zurücknahme ausreichend realisiert hat. Siehe Wolfgang Kersting, Die verbindlichkeitstheoretischen Argumente der Kantischen Rechtsphilosophie, in: Ralf Dreier (Hg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts (=Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie. Beiheft 37), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1990, 62–74, Anm. 5.
Beim Wiederabdruck dieses Aufsatzes hat Kersting diese Anmerkung zwar wieder gestrichen, er spricht aber im Text das Rechtsgesetz unverändert als kategorischen Imperativ an, siehe Kersting, Die Verbindlichkeit des Rechts, in: ders., Recht, Gerechtigkeit und demokratische Tugend, a. a. O. 19–40. Siehe auch Hariolf Oberer, Rezension von Kersting, Wohlgeordnete Freiheit, in: Kant-Studien 77 (1986), 118–122, 118 f.
Bernd Ludwig, Kants Rechtslehre = Kant-Forschungen 2, Hamburg: Meiner 1988, 96 n. 26.
Kerstings These ist beeinflusst von seiner Auffassung, dass Kant in der Grundlegung »den kategorischen Imperativ überschätzt« habe. Der Kategorische Imperativ könne »entgegen der Demonstrationsabsicht Kants — nur als Erkenntnisprinzip von vollkommenen Pflichten gegen andere dienen«, siehe Kersting, Der kategorische Imperativ, die vollkommenen und die unvollkommenen Pflichten, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 37 (1983), 404–421, 415 u. 414.
Es stellt sich dann aber die Frage, was Kant überhaupt zu einer »Tugendlehre« berechtigt. Zu Kerstings Aufsatz siehe Harald Schöndorf, »Denken-Können« und »Wollen-Können« in Kants Beispielen für den kategorischen Imperativ, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 39 (1985), 549–573.
Siehe schon den frühen Aufsatz: Otfried Höffe, Recht und Moral: ein kantischer Problemaufriß, in: Neue Hefte für Philosophie 17 (1979), 1–36.
Siehe z. B. Otfried Höffe, Immanuel Kant, München: Beck 1983, 2. Aufl. 1988, 171–173.
Siehe Otfried Höffe, Der kategorische Imperativ als Grundbegriff einer normativen Rechts- und Staatsphilosophie, in: Reinhard Löw (Hg.), Oikeiosis. Festschrift für Robert Spaemann, Weinheim: VCH Verlagsgesellschaft 1987, 87–100;
ders., Kant’s Principle of Justice as Categorical Imperative of Law, in: Yirmiyahu Yovel (ed.), Kant’s Practical Philosophy Reconsidered. Papers presented at the Seventh Jerusalem Philosophical Encounter, December 1986, Dordrecht: Kluwer Academic Publishers 1989, 149–167
ders., Kategorische Rechtsprinzipen. Ein Kontrapunkt der Moderne, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1990
ders., Einführung, in: ders. (Hg.), Immanuel Kant. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre = Klassiker Auslegen, Bd. 19, Berlin: Akademie Verlag 1999, 1–18.
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Steigleder, K. (2002). Kategorischer Imperativ, »Ethik« und Recht — Grundzüge der Verhältnisbestimmung. In: Kants Moralphilosophie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02850-1_4
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Publisher Name: J.B. Metzler, Stuttgart
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Online ISBN: 978-3-476-02850-1
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