Zusammenfassung
»Beatus vir qui in sapientia morabitur. / Cibabit illum pane intellectus, / et aqua sapientiae potabit illum«1 — diese Bibelworte (Sirach 14.22, 15.3) finden sich in einer der prächtigsten Handschriften des 15. Jahrhunderts, dem ungarischen Corvinus-Graduale2, in der Initialminiatur zum Introitus am Osterdienstag (»Aqua sapientiae potavit eos«) auf bemerkenswerte Weise illustriert: Über einer subtil ausgemalten Landschaft schwebt Gottvater, von Engeln umgeben, sein Thron umkränzt von Wolken, aus denen Regen fällt, welcher die unten in der Bildmitte sprudelnde Quelle speist. Sie wird von einer buntscheckigen, mit Papst, Kardinal, König, einem jungen Adligen und orientalisch gewandeten Gelehrten repräsentativ besetzten Gruppe umstanden; alle halten kostbare, mit Wasser gefüllte Gefäße in den Händen. Näher zur Quelle, knieend bzw. aus dem Mittelgrund des Bildes zu ihr hinkriechend, befinden sich zwei Männer aus dem Volk; der eine hebt einen schlichten Krug an den Mund, der andere schöpft aus dem Bassin. Selbst, wenn man jene Nähe nicht metaphorisch bemüht (auch der Adlige kniet) — das Wasser der Weisheit kommt zu den einfachen Menschen nicht weniger direkt als zu den anderen, und die Haltung, in der sie die Gabe entgegennehmen, scheint ihr angemessener; die Erniedrigten und Beleidigten sind mindestens so »unmittelbar zu Gott« wie die großen oder gelehrten Herren. »Gott ist nicht nur ein Gott der Kleriker, sondern auch der Laien« — dieser Kampfruf eines mutigen, hochgescheiten, alsbald exkommunizierten Franziskaners3 erscholl schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
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Notizen
A Matyás-Graduale, Magyar Helicon/Corvina, Budapest 1980; stark verkleinerte Abbildung in: Nicolai de Cusa 1988
Hierüber Claude Thiry in: Régnier-Bohler 1995, S. 955; dortselbst S. 985 – 988 Exzerpte aus dem Naufrage
Zitiert nach: Artikel Faburden in: Riemann Musiklexikon, Sachteil, Mainz 1967, S. 270; vgl. auch Kap. VIII
Hymnus Ad cenam agni providi, hier zitiert nach Bukofzer 1952, S. 43
Georg Knepler, Improvisation — Komposition. Überlegungen zu einem ungeklärten Problem der Musikgeschichte, in: Bence Szabolsi Septuagenario, Budapest 1969, S. 241 – 252, das Zitat S. 251 bzw. 250
Carl Dahlhaus’ (1970) Einwand gegen diese erstmals von Jaques Handschin angesprochene fakultative Handhabung (ders., Eine umstrittene Stelle bei Guilelmus Monachus, in: Kongreßbericht Basel 1949, S. 231 ff.) erscheint arg theoriefixiert; vgl. hierzu auch die Verfahrensweise von Rudolf Gerber in seiner Neuausgabe von Du Fays Hymnen, in: Das Chorwerk, Bd. 49
George Steiner, Grammatik der Schöpfung, München 2001
Johannes Tinctoris, Liber de arte contrapuncti (1477), Buch 2, XIX; vgl. Tinctoris 1975, Band II, S. 105 ff.
Renate Steiger, Einleitung, in: Nicolai de Cusa 1988, S. XII
Meister Eckhart, Deutsche Predigten und Traktate, hrsg. und übers. von Josef Quint, München 1955, S. 306
Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen im Mittelalter, 2. Aufl . Darmstadt 1970, S. 30
Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, 2. Aufl . Frankfurt am Main 1963, S. 63
Zitiert nach Norbert Winkler, Nikolaus von Kues, Hamburg 2001, S. 36
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Gülke, P. (2003). Fauxbourdon. In: Guillaume Du Fay. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02848-8_11
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