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“Mythologie war immer mein Bestes”. Einbildungskraft, Angst und Unterwerfung in Theodor Fontanes Roman Effi Briest

  • Chapter
Fantastik im Realismus
  • 299 Accesses

Zusammenfassung

Die Figur des spukenden Chinesen, von Fontane selbst zum “Dreh- und Angelpunkt” des Romanes erklärt, macht Effi Briest zu einem der prominentesten Beispiele eines fantastischen Realismus im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert.1 Im Chinesen verknüpfen sich unterschiedliche Erzählfäden, die einen Zusammenhang von Einbildungskraft, Angst und Unterwerfung bilden: Zum ersten betrifft dies die Unterwerfung des Selbst unter das Phantasma der Ehre. Auch Instetten sieht am Ende seine Handlungen aus einer reinen “Vorstellung, einem Begriff hervorgehen (vgl. 436).2 Er erscheint nur mehr als Agent des “Gesellschafts-Etwas”, nicht mehr als das souveräne Subjekt seiner Handlungen. Zum zweiten handelt es sich um die imperialistische Unterwerfung, die im Motiv des Chinesen eine Dämonisierung des Fremden beschreibt, zum dritten um die Unterwerfung des anderen Geschlechtes durch den “Angstapparat aus Kalkül”. An diesem wirkt nicht nur Instetten mit, sondern auch Crampas, insbesondere, was die Bevorzugung fantastischer Motive bei seiner Lektüreauswahl betrifft.3

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Literatur

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Reichelt, G. (2001). “Mythologie war immer mein Bestes”. Einbildungskraft, Angst und Unterwerfung in Theodor Fontanes Roman Effi Briest. In: Fantastik im Realismus. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02846-4_7

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