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Phantastik und Metafiktionalität. Russische literarische Phantastik am Ausgang der Romantik

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Phantastik — Kult oder Kultur?
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Zusammenfassung

Literarische Phantastik in ihrer modernen Form, wie sie im späten 18. Jahrhundert entsteht, findet sich in allen weiteren Phasen der Literaturgeschichte, sei es als eigentliches Genre oder als ‚Modus‘ des Schreibens. Zu den ‚Epochen‘, mit denen sie traditionell am stärksten in Verbindung gebracht wird, gehört sicher die Romantik,1 wobei die in europäischem Maßstab breiteste Wirkung hier dem Werk E.T.A. Hoffmanns zukommt. Gerade dies belegt, daß das Schwergewicht des romantischen Beitrages zur phantastischen Literatur in die Spät-, ja Postphase der Romantik gehört: Phantastik, die immer abhängig ist von spezifischen Phantasie-, aber auch Repräsentationsbegriffen, scheint in einem Umfeld, in dem beides problematisch wird, ihr eigentliches Element zu finden. Mehr noch als der ‚Spätromantiker‘ Hoffmann sind andere Hauptzeugen der ‚romantischen Phantastik‘ in der Literatur — man denke an Balzac, Gautier, Mérimée, Nerval in Frankreich oder an Poe — Übergangsfiguren, die so sehr in der Romantik wurzeln, wie sie diese transzendieren; nicht von ungefähr ist gerade das Jahrzehnt nach 1830 fur die phantastische Erzählung so produktiv, daß sie europaweit zur eigentlichen Modeerscheinung wird.2 Daß also weniger eine Affinität des Phantastischen zu der Romantik zu erkennen ist als eine zu einer Spät- bzw. PostRomantik,3 die sich bereits aus einer Position der Nachzeitigkeit zu einer aus der erinnernden Distanz evozierten Romantik definiert, wäre kaum von Interesse, würde dies nur literaturhistorische Epochenzuschreibungen betreffen. Doch eröffnet dieser Befund nicht nur eine fruchtbare Perspektive auf einige Texte, sondern auch auf die Problematik des Postromantischen.

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  12. Punktueller, aber präziser sind die Aufsätze V.E. Vacuros: Iz istorii gotičeskogo romana v Rossii. In: Russian Literature 38, 1995, S. 207–226; ders.: A. Radklif i ee pervye russkie čitateli i perevodčiki. In: Novoe literaturnoe obozrenie 22, 1996, S.202–226. Vgl. neuerdings die Einzelstudien zu Karamzin, Žukovskij, Puškin, Odoevskij, Gogol’, Dostoevskij u.a. in Neil Cornwell (Hrsg.): The Gothic-Fantastic in Nineteenth-Century Russian Literature, Amsterdam u. Atlanta 1999.

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  17. oder:Aage A. Hansen-Löve: „Gøgøl“. Zur Poetik der Null- und Leerstelle. In: Wiener slawistischer Almanach 39 (1997), S. 183–303.

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  19. Vgl. dazu Thomas Grob: Metafiktionalität, Nullpunkt und Melancholie. Osip Senkovskijs „Phantastische Reisen des Baron Brambeus “ am ‚Ende’ der Romantik. In: Christine Gölz, Anja Otto u. Reinhold Vogt (Hrsg.): Romantik — Moderne — Postmoderne. Frankfurt a.M. 1998., S. 71–102.

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  20. Auch dieser mehrfach deutsch veröffentlichte Text existiert in einer zweisprachigen Ausgabe mit der Übersetzung von Kay Borowsky bei Reclam: Alexander Puschkin: Pique dame. Russisch/Deutsch. Stuttgart 1996.

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  21. Wolf Schmid: „Pique dame“ alspoetologische Novelle. In: Die Welt der Slaven 1997 (XLII), 1–33; hier S. 2.

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Grob, T. (2003). Phantastik und Metafiktionalität. Russische literarische Phantastik am Ausgang der Romantik. In: Ivanović, C., Lehmann, J., May, M. (eds) Phantastik — Kult oder Kultur?. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02835-8_8

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02835-8_8

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