Zusammenfassung
In der spanischen Literaturgeschichte wird das 19. Jahrhundert überschattet vom glorreichen Siglo de Oro und der Generation der Niederlage, der Generation del 98.1 Im Vergleich zur Aufmerksamkeit, die den genannten Gruppierungen entgegengebracht worden ist, scheint die 1868er Generation beinahe in Vergessenheit geraten zu sein. Dies verwundert um so mehr, da gerade die Literatur der 68er Generation durch das Nach-außen-Tragen des Konfliktes der Dos Españas wesentlich zur Debatte der Nationenbildung beigetragen hat, welche die 98er Generation bekannt gemacht hat. Die hier angestrebte Lektüreweise der Schriften der 68er läßt die der 98er als ihre Fortführung erkennen. Anhand ausgewählter Texte der beiden für die 68er Generation repräsentativen Autoren Emilia Pardo Bazán und Juan Valera soll eine andere Art der Lektüre angeregt werden, die das Verständnis des kulturellen Gedächtnisses der spanischen Nation und das Bild Spaniens im Ausland modifizieren, sowie die Wichtigkeit dieser zu unrecht in Vergessenheit geratenen Intellektuellen vor Augen fuhren soll. Das historische Gedächtnis soll hinsichtlich der Interdependenzen der Alteritäts- und Identitätsvorstellungen untersucht werden. Diese Vorstellungen prägen nicht nur das Selbstbild Spaniens, sondern auch in nachhaltiger Form das Verhältnis Spaniens zu Europa. Erst seit den 1980er Jahren findet dieser Aspekt Einlaß in die Arbeiten zum historischen Gedächtnis Spaniens.2
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Notizen
Werner Krauss: Spanien 1900–1965. München, Salzburg 1972, S. 40.
Vgl. Ana Barro/Klaus Dirscherl: Spanien und das Fremde. In: Walther L. Bernekker/Ders. (Hg.). Spanien heute. Frankfurt/M. 1998, S. 427–454.
Benedikt Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzeptes. 2. Aufl. Frankfurt/M. 1993, hier S. 15.
Ebd., S. 42 f. Vgl. zur Nationalismusdebatte in Spanien: Javier Tussel: España, una angustia nacional. Madrid 1999.
Vgl. Claudio Sánchez Albornoz: La Edad Media española y la empresa de América. Madrid 1983.
Walther L. Bernecker/Horst Pietschmann: Geschichte Spaniens. Stuttgart 1997, S. 168.
Vittoria Borsò: Torres Villarroel — Aufklärer avant la lettre? Zur paradoxen Geschichte und Rezeptionsgeschichte der spanischen Aufklärung. In: Wolfgang Klein/Brigitte Sändig (Hg.): Zur Rezeption der Aufklärung in der Romania im 19./20. Jahrhundert. Rheinfelden 1994, S. 19–46, hier S. 20.
Nicolas Masson de Morvilliers: Espagne. In: Encyclopédie méthodique. Géographie. Bd. I. Paris 1783, S. 554–568.
Vgl. z.B. Mariano José de Larra: Cuasi. Pesadilla política (1835). In: Ders.: Obras Complétas. Paris 1948, Bd. II, S. 27–30.
Juan Valera: Introductión a Cuentos y chascarrillos andaluces. In: Ders.: Obras Completas. Bd. I. Madrid 1968 [1896], S. 1209–1213.
Juan Valera: Los Santos de Francia. In: Ders.: Obras Completas. Bd. I. Madrid 1968 [1896], S. 1215 f. Im folgenden abgekürzt durch die Sigle ›SF‹.
»Ruhm und Stütze in seinem Alter werde und seinem Vaterland diene und ehre«.
»Schau, mein Sohn; geh von mir aus, aber weder rufe noch erwähne vor mir jemals in deinem Leben diese Heiligen aus Frankreich, die ja sehr wundertätig sein mögen, aber unverschämt unerzogen sind.«
Juan Valera: El señor Nichtverstehen. In: Ders.: Obras Completas. Bd. I. Madrid 1968 [1896], S. 1221f.
Juan Valera: Sobre el concepto que hoy se forma en España In: Ders.: Obras Completas. Bd. III. Madrid 1968 [1868], S. 737–751. Im folgenden sigliert als ›CfE‹.
»Der Spott über unsere Rückständigkeit und Ignoranz, das ärgerliche Mitleid, das die Ausländer zeigen, weil es in Spanien keinen so großen Aufschwung, materiellen Wohlstand und confort wie in anderen Ländern gibt, führt dazu, daß einige Spanier diese Rückständigkeit, diese Armut und Ignoranz feiern, als Pfand und Garantie größerer Religiosität und größerer Tugenden. So ermuntern sie uns dazu, weiterhin ignorant und arm zu bleiben, um auch künftig heilig und gut zu sein.«
»Diese Nation ist die edelste, katholischste und die größte Hervorbringerin von Helden und Heiligen, die man sich vorstellen kann; aber unter vier Augen sagen dieselben Herren und noch viele mehr, daß sich diese Nation nur mit Schlägen regieren läßt.«
Emilia Pardo Bazán: Entre razas. In: Ders.: Obras completas. Novelas y cuentos. Bd. I. Madrid 1964, S. 1531–1533. Im folgenden zitiert als ›ER‹.
»Er war groß, kantig, wie durch Axthiebe geschnitzt. Der Gegensatz in seinem Aussehen bestand in diesem großen, plumpen Körper eines Boxers, der abgeschlossen wurde von einem bartlosen und kahlen Gesicht mit farblosen und kalten Augen und einem weiblichen Mund. […] alles in allem: das Aussehen eines Chorknaben und im Widerspruch zum klerikalen und seligen Typ eine gewaltige Physiologie.«
»Sein Charakter war nicht sehr offen, mit plötzlichen Ausbrüchen wankelmütiger Launen und ich bemerkte leicht, wie er in Antiquariaten von einer eiskalten Gleichgültigkeit zur heftigsten Sehnsucht wechselte, die nicht begründet war in der Schönheit des Gegenstandes, sondern in dem hohen Preis oder in der Seltenheit des Objektes.«
Dieser Gedanke findet sich später bei Miguel de Unamuno wieder, der in seinem Essayband En torno al casticismo, die Tradition als übernational definiert, so daß darin nicht nur Spaniens Identität, sondern auch die der anderen europäischen Nationen enthalten ist. Dieser Universalismusgedanke ermöglicht die Bewahrung der Tradition sowie eine Erneuerung durch ihre Wiederentdeckung in der Gegenwart.
Emilia Pardo Bazán: Por España. In: Dies.: Obras completas. Novelas y cuentos. Bd. I. Madrid 1964, S. 1659–1661.
Emilia Pardo Bazán: La cuestión palpitante. Barcelona 1989.
»La imitación entre naciones no es caso extraordinario, ni tan humiliante para la nación imitadora como suele decirse. Prescindamos de los latinos, que calcaron a los griegos; nosotros hemos imitado a los poetas italianos; Francia a su vez imitó nuestro teatro, nuestra novela […] y esto fue de modo que si cada nación hubiese de restituir lo que le prestaron las demás, todas quedarían, si no arruinadadas, empobrecidas cuando menos.« Ebd., S. 175. (»Die Nachahmung unter den Nationen ist nichts besonderes und auch nicht so erniedrigend für die nachahmende Nation, wie man zu sagen pflegt. Wie könnten wir auf die alten Lateiner verzichten, die die Griechen imitierten; wir haben die italienischen Dichter nachgeahmt, Frankreich wiederum unser Theater, unseren Roman […] und dies geschah auf eine Weise, daß wenn jede Nation erstatten müßte, was die anderen ihr geliehen haben, alle wenn nicht kulturlos so doch zumindest verarmt dastehen würden.«)
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Ruiz, C.P., Gallego, F. (2001). Das Nationenbild Juan Valeras und Emilia Pardo Bazáns. In: Borsò, V., Krumeich, G., Witte, B. (eds) Medialität und Gedächtnis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02832-7_5
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02832-7_5
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