Zusammenfassung
»Einem Volkstum den Mann abzusprechen, den es als den größten unter seinen Söhnen rühmt, ist nichts, was man gern oder leichthin unternehmen wird, zumal wenn man selbst diesem Volke angehört.«1 Die syntaktisch ungewöhnliche Konstruktion dieses Satzes, mit dem Sigmund Freud 1938 seine Abhandlung Der Mann Moses und die monotheistische Religion eröffnet, kann als Verweis auf die Fragestellung gelesen werden, die er im letzten von ihm selbst publizierten Text in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt. Das einleitende Dativobjekt setzt den von der deutschen Tradition zur Definition der nationalen Identität funktionalisierten, von den Nationalsozialisten mißbrauchten Begriff des Volkstums bewußt und betont an den Anfang. Ihn will der Autor gegen den herrschenden Zeitgeist neu interpretieren.
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Notizen
Sigmund Freud: Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Drei Abhandlungen. In: Ders.: Studienausgabe in zehn Bänden mit Ergänzungsband. Rev. Neuausgabe. Hg. von Alexander Mitscherlich u.a. Bd. IX: Fragen der Gesellschaft/Ursprünge der Religion. Frankfurt/M. 1974, S. 459.
Yosef Hayim Yerushalmi: Freuds Moses. Endliches und unendliches Judentum. Berlin 1992, S. 113.
Jan Assmann: Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur. München, Wien 1998, S. 23.
Yerushalmi, Freuds Moses, S. 108.
Diese Formulierung gebraucht Freud selbst in seinem Brief an Arnold Zweig vom 23.9.1934: »Angesichts der neuen Verfolgungen fragt man sich wieder, wie der Jude geworden ist und warum er sich diesen unsterblichen Haß zugezogen hat. Ich hatte bald die Formel heraus. Moses hat den Juden geschaffen, und meine Arbeit bekam den Titel: Der Mann Moses, ein historischer Roman.« Sigmund Freud/Arnold Zweig: Briefwechsel. Hg. von Ernst L. Freud. Frankfurt/M. 1968, S. 102. Die Anfangsseite des 9.8.1934 datierten und »Der Mann Moses. Ein historischer Roman« überschriebenen Manuskripts findet sich als Faksimile gegenüber der Titelseite von Yerushalmi, Freuds Moses.
Freud, Der Mann Moses, S. 461 f.
Ebd., S. 486.
Ebd., S. 491.
In dem schon zitierten Brief an Arnold Zweig geht Freud auf die Gründe ein, warum er seine Abhandlung zunächst sekretiert habe: »An dem dritten [Abschnitt; d. Verf.] scheiterte das Unternehmen, denn er brachte eine Theorie der Religion, nichts Neues zwar für mich nach ›Totem und Tabu‹, aber doch eher etwas Neues und Fundamentales für Fremde. Die Rücksicht auf diese Fremden heißt mich dann den fertigen Essay sekretieren.« Mit den Fremden sind die Vertreter der katholischen Kirche gemeint, die — so fürchtet Freud — durch die Provokation der Freudschen Religionstheorie veranlaßt werden könnten, »ein Verbot der Analyse in Wien« zu erwirken. Freud/Zweig, Briefwechsel, S. 102 f.
Freud, Der Mann Moses, S. 565.
Ebd., S. 574.
Ebd., S. 501.
Ebd., S. 500.
Ebd.
Homi K. Bhabha bezeichnet allerdings mit dem Begriff »Hybridität« kulturelle Phänomene, in die sich die vergangenen Traumata eingeschrieben haben. Ganz im Sinne von Freud geht es ihm um gewaltsame Formen der Aushandlung von Identität und Alterität, wie sie etwa in der kolonialen Geschichte stattgefunden haben. Vgl. Homi K. Bhabha: Die Verortung der Kultur. Stauffenberg 2000.
Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992.
Sigmund Freud: Der Moses des Michelangelo (1914). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. X, S.195–220.
Freud, Der Mann Moses, S. 517.
Traktat Menahoth: Von den Speiseopfern, 29b. In: Der Babylonische Talmud. Neu übertragen durch Lazarus Goldschmidt. Bd. 10. Berlin 1935, S. 486f.
Freud, Der Mann Moses, S. 468.
Ebd., S. 506.
Ebd., S. 478.
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Witte, B. (2001). Die Schrift im Exil. In: Borsò, V., Krumeich, G., Witte, B. (eds) Medialität und Gedächtnis. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02832-7_3
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