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„Furie des Verschwindens“

Über Möglichkeiten und Schwierigkeiten bestimmter Negation in der Musik anhand von Mathias Spahlingers furioso (1991/1992)

  • Chapter
Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz
  • 81 Accesses

Zusammenfassung

Mathias Spahlinger (1944*) gehört zu denjenigen Komponisten, die (vor)schnell der Rubrik „musica negativa“ zugeschlagen werden, ohne dass zuvor ausgewiesen worden wäre, was unter diesem Schlagwort eigentlich zu verstehen ist und ob es überhaupt möglich und sinnvoll ist, ihn damit zu belegen. Gleichwohl gibt dieses (Vor) Urteil, ohne es unhinterfragt zu reproduzieren, zu einer ersten Einschätzung darüber Anlass, um was für eine Musik es sich bei der Spahlingers handelt. Seine Musik ist — so könnte man wohlwollendere Meinungen bündeln — keine vordergründig gefällige, effektvoll-virtuose, in herkömmlicher Weise klangsinnliche und schöne Musik, dafür aber eine, die sich um kritische Materialreflexion, ästhetische Aufrichtigkeit und Hörsensibilisie-rung bemüht. Hingegen möchte die landläufigere und weniger tolerante Skepsis gegenüber Spahlinger und der neuen Musik insgesamt wissen, dass es die ebenso konstruierte und kopflastig-rationalistische wie traditionszerstörende, fühl- und leblose Musik eines Intellektuellen ist, nicht aber die eines „vitalen“, zu authentischem, starkem und bewegendem Ausdruck befähigten Musikers. Beide Ansichten dürften mithin darin übereinstimmen, dass es sich, sei es im Guten, sei es im Schlechten, um typische „Avantgardemusik“3 handelt, also um eine Musik, von welcher der größte Teil des Publikums entweder aus respektvoller Distanz sagt, man sei für sie zu ungebildet und verstehe sie nicht, oder sie rundweg verdammt, weil sie überkommenen Hör- und Vorstellungsweisen nicht entspricht: eine Musik also, mit der das Konzertpublikum in den meisten Fällen, obzwar aus unterschiedlichen Motiven, überhaupt nicht in Berührung kommt, von der es aber zu wissen glaubt, dass sie bis auf den kleinen Zirkel der in Sonderkonzerten versammelten Spezialisten ohnehin niemandem zugänglich ist.

Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt. Es ist die gewöhnlichste Selbsttäuschung wie Täuschung anderer, beim Erkennen etwas als bekannt vorauszusetzen und es sich ebenso gefallen zu lassen.

Georg Friedrich Wilhelm Hegel 1

Was ist Verlust, wenn so der Mensch in seiner eignen Welt sich findet?

Friedrich Hölderlin 2

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Notizen

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Nonnenmann, K.R. (2001). „Furie des Verschwindens“. In: Wagner, G. (eds) Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02821-1_8

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02821-1_8

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