Zusammenfassung
In der öffentlichen Kontroverse zum Freitod Pettenkofers sahen sich die Anhänger der christlichen Tradition durch neostoizistische Positionen in die Defensive gedrängt, wie sich an der schon erwähnten Reaktion des Reichsboten auf Dernburgs Artikel ablesen läßt. Bemerkenswert ist nun, wie man der Herausforderung der »naturalistischen Anschauungen« begegnete. Statt die christliche Affirmation des Leidens zu predigen, argumentierte die Zeitung des protestantischen Konservatismus mit dem Hinweis auf die gefährlichen Konsequenzen, die ein Recht auf Suizid im Gefolge hätte:
»Hat der Mensch aus Nützlichkeitsgriinden das Recht, sich das Leben zu nehmen, so ist damit das Nützlichkeitsprinzip so hoch gestellt, daß daneben die Moral völlig ihre Bedeutung verliert. Wenn das eigene Leben vor diesem Prinzip nicht mehr sicher ist, dann wird es auch bald das Leben der anderen nicht mehr sein; dann wehe den armen Kranken, die ihren Familien und Gemeinden zur Last fallen, wenn man mit der Dernburgschen Weisheit an sie herantritt und ihnen mit dem Hinweis, daß der Zweck ihres Lebens erfüllt sei, ihnen das Messer oder den Strick mit dem deutlichen Hinweis: entweder du machst selbst ein Ende oder ich — darreicht.1«
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Notizen
Karl Binding/Alfred Hoche, Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form, Leipzig 1920. Meine Charakterisierung ebnet die Differenzen in der Position von Binding und Hoche zu sehr ein. Ich habe vor, die Euthanasie-Diskussion in der Weimarer Republik demnächst genauer zu analysieren.
Adolf Jost, Das Recht auf den Tod. Sociale Studie, Göttingen 1895, 4.
J. Bab, Sechs Reden, Berlin 1914.
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Baumann, U. (2001). Zwischen Beihilfe zum Suizid und Tötung ohne Einwilligung: zur Diskussion über Sterbehilfe und Euthanasie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Vom Recht auf den eigenen Tod. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02814-3_6
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Publisher Name: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart
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