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»…eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen«? Narziß in der deutschsprachigen Lyrik der Gegenwart (1945–2001)

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Narcissus

Zusammenfassung

»Es stimmt gar nicht«, kommentierte der Dichter, »daß Narziß in sein eigenes Spiegelbild verliebt war. Wahr ist vielmehr, daß er begabt oder geschlagen war mit einer übermächtigen Weltliebe. Er war geboren und wuchs auf mit einer Zärtlichkeit für die Wesen und Erscheinungen von seinen Fingerspitzen bis in das hinterste Universum. Der junge Narziß war Zu- und Hinneigung seiner Person und wünschte nichts mehr, als die ganze Welt in seine Arme zu schließen. Aber die Welt, die Menschenwelt zumindest, ließ das nicht zu, wich vor ihm weg, gab ihm den Blick der Liebe nicht zurück. Seine Begeisterung vom Dasein und seine Zuneigung zu Bekannt und Unbekannt fanden nirgends einen Halt. Und so mußte er mit der Zeit den Halt an sich allein suchen. Und so verklammerte sich der große Weltliebhaber Narziß an sich selber. Und so ging er zuletzt zugrunde.«2

Diese prononciert neue Lesart des Narziß-Mythos findet sich in Peter Handkes Roman In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus (1997). Erzählt wird die Geschichte eines Apothekers, der sich, in tiefer Sehnsucht nach Wandlung, in einer stillen Nacht mit einem Skifahrer und einem Dichter zu einer Reise auf macht. In ihrem Verlauf muß er äußere und innere Schmerzen und Gefahren überwinden, um, zur Liebe findend, der zu werden, der er ist.

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Notizen

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Renger, AB. (2002). »…eine Unverschämtheit, wenn sie Ich sagen«? Narziß in der deutschsprachigen Lyrik der Gegenwart (1945–2001). In: Renger, AB. (eds) Narcissus. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02811-2_8

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