Zusammenfassung
Mit dem Geschwisterpaar Siegmund und Sieglinde verbinden sich zwei zentrale Fragen der Ring-Handlung und ihrer dramatischen wie dramaturgischen Disposition: weshalb das Motiv des Inzests, exponiert gleich zu Beginn der Wälsungen-Geschichte, im ersten Akt der Walküre? Eine bedeutsame dramaturgische Entscheidung des Komponisten, weil Wagner diese spezifische Figurenkonstellation aus der literarischen Vorlage der Völsungen-Sage heraus individuell entwickelte und für den Handlungszusammenhang des Ring neu präparierte. Für diese künstlerische Entscheidung von Rang existiert keine unmittelbare Vorlage. An diese Überlegung zur Dramaturgie der Walküre-Handlung schließt sich die weitere, auf den dramatischen Zusammenhang zielende Frage: Entspringt die inzestuöse Verbindung von Siegmund und Sieglinde einer wohldurchdachten Absicht Wotans oder ist sie ein Produkt des Zufalls?1 Die Antwort hat Gewicht, weil sie Hinweise liefert auf Wotans Charakter und die Qualität der Welten- und Götterkatastrophe. Die Inzest-Frage lenkt mithin zwangsläufig den Blick auf den Sinn der Tragödienhandlung, nicht nur der Walküre, sondern auch der Götterdämmerung.
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Anmerkungen
Vgl. Peter Wapnewski, Weißt du wie das wird …? Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen, München/Zürich 1995, S. 122.
Die Es-Dur-Passage »So ist es denn aus mit den ewigen Göttern«, in: Die Walküre, Klavierauszug von Karl Klindworth, 1899, S. 90 ff.
Richard Wagner, Gesammelte Schriften und Dichtungen, Bd. 6, Leipzig 1888, S. 31.
Vgl. Nordische Nibelungen. Die Sagas von den Völsungen, von Ragnar Lodbrok und Hrolf Kraki. Aus dem Altnordischen übertragen von Paul Herrmann, hg. von Ulf Diederichs, München (2. Auflage) 1993 (= Abdruck der Texte nach Sammlung Thule, Bd. 21 »Isländische Heldenromane«, Jena 1923), vor allem die Kapitel »Odins Siegesschwert«, »Siggeirs Heimfahrt« und »Tod König Völsungs und seiner Söhne. Sigmunds Errettung«, S. 13 ff.
Vgl. Heinrich Dölls Gemälde in: Detta und Michael Petzet, Die Richard Wagner-Bühne Ludwigs II., München 1970, Bild-Nr. 454.
Vgl. den szenischen Entwurf in: Oswald Georg Bauer, Richard Wagner. Die Bühnenwerke von der Uraufführung bis heute, Fribourg / Schweiz 1982, S. 198.
Vgl. die szenischen Entwürfe etwa von Leo Pasetti für München 1922, in: Klaus Jürgen Seidel (Hg), Das Prinzregenten-Theater in München, Nürnberg 1984, S. 110, dort irrtümlich als Dekoration für den 3. Akt ausgegeben, und von Ludwig Sievert für Frankfurt am Main 1925, in: Oswald Georg Bauer, Richard Wagner, S. 203.
Vgl. zur Umarbeitung der Sagenmotive in die Figurenkonstellation des Musikdramas: Christine Emig, Arbeit am Inzest. Richard Wagner und Thomas Mann, Frankfurt/M. 1998, S. 47 ff.
Vgl. Elisabeth Frenzel, Motive der Weltliteratur, Stuttgart 1976, S. 404.
Vgl. zu historischen Deutungsansätzen des Inzestmotivs: Walter Kiefl, Inzest und Inzestverbote. Versuch einer Systematisierung und Beurteilung von Erklärungsansätzen, Diss. München 1986 — mit einem Kapitel über das Inzest-Thema in der Mythologie, S. 101 ff.
sowie zu soziologischen und psychoanalytischen Aspekten des Themas: Jörg Klein, Inzest: Kulturelles Verbot und natürliche Scheu, Opladen 1991.
Vgl. Cosima Wagners Tagebuch-Eintragung vom 23. 7. 1872, in: Cosima Wagner. Die Tagebücher, Band I: 1869—1877, hg. von Martin Gregor-Dellin und Dietrich Mack, München / Zürich 1976, S. 552.
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Schläder, J. (2001). Siegmund und Sieglinde. In: Bermbach, U. (eds) »Alles ist nach seiner Art«. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02795-5_6
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