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Der Ort als Schauplatz des Gedächtnisses

Zur Kritik der ,Lieux de mémoire‘, mit einem Ortstermin bei Goethe und Heine

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Weimar — Archäologie eines Ortes

Zusammenfassung

Im September 1786 brach der 37jährige Johann Wolfgang Goethe bekanntlich zu einer längeren Reise auf, um sich für eineinhalb Jahre den Weimarer Verpflichtungen zu entziehen. Sein Weg führte ihn von Karlsbad über München, den Brenner, Trient und den Gardasee nach Verona, das in gewisser Weise als erste Station seiner Italienreise gelten kann. Denn hier war er in jenem Land angekommen, mit dem er die Verheißung seiner Reise verband: Die Tradition der standesüblichen Bildungsreise sollte durch ihn umgewandelt werden in das Projekt einer vollkommenen Erneuerung der eigenen Person, die er als eine Art rite de passage der Lebensreise in Szene setzte. Insofern ist die Landschaft Italiens in der „Italienischen Reise“ immer schon als eine Topographie zu verstehen, denn die Reise als Bewegung durch fremde Orte ist darin mit der allegorischen Bedeutung der Lebensreise — als lebensgeschichtlicher (Um-)Weg der Reifung — symbolisch überblendet. Dabei war das Ziel der Reise weniger das zeitgenössische Italien als vielmehr der imaginäre Raum jener Antike, dessen Bild dem Studium der Winckelmannschen Schriften entsprungen war. Mit der Geographie Italiens betrat Goethe also einen Bildraum, der den Namen der Antike trug und in dem er sich eine sinnliche Begegnung mit deren Kultur in naturam versprach. Bedeutete die Reise in das fremde Land ihm somit eher eine Reise in die vergangene Zeit, so war der damit betretene Bildraum doch längst mit Bildern besetzt, die der Lektüre von Schriften, die der Bibliothek, dem Archiv und dem Museum entstammten.

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Notizen

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Georg Bollenbeck Jochen Golz Michael Knoche Ulrike Steierwald

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Weigel, S. (2001). Der Ort als Schauplatz des Gedächtnisses. In: Bollenbeck, G., Golz, J., Knoche, M., Steierwald, U. (eds) Weimar — Archäologie eines Ortes. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-02792-4_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-476-02792-4_2

  • Publisher Name: Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar, Stuttgart

  • Print ISBN: 978-3-7400-1159-8

  • Online ISBN: 978-3-476-02792-4

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